„Beyond Molotovs“ – ein Gespräch über Möglichkeiten, dagegenzuhalten
Sabrina hat mit Aurel Eschmann gesprochen, der gemeinsam mit anderen AutorInnen das aufwändig recherchierte Buch über antiautoritäre Strategien, „Beyond Molotovs“, veröffentlicht hat.
Du hast an der Humboldt-Universität zu Berlin studiert und bist Aktivist und Rechercheur bei Lobby Control in Berlin. Was machst du da genau? Erzähl uns doch mal ein bisschen was darüber.
Die Tätigkeit bei Lobby Control ist erst nach dem Buch entstanden, bzw. als das Buch schon fast fertig war. Das heißt, das hat eigentlich mit meiner Arbeit als antifaschistischer Aktivist nur sekundär zu tun, obwohl natürlich auch das einen Demokratiefokus hat. Ich bin Campaigner bei Lobby Control im Bereich Lobbyregulierung und auch zuständig für das Thema Parteispenden, was ja gerade sobald es um Finanzierungen von rechten Netzwerken, rechten Parteien usw. geht, eine große Rolle spielt.
Aber eigentlich komme ich aus einem anderen Bereich. Ich habe Regionalstudien in Asien und Afrika studiert, dann Global Studies, also Globalisierungsstudien, und währenddessen als Teil dieses Studiums unter anderem in China, Indien und Südafrika gelebt. Danach war ich bei der Rosa-Luxemenburg-Stiftung im Asienreferat und für Indien zuständig. Eigentlich ist da auch so ein bisschen mein Forschungsfokus auf Autoritarismus entstanden, weil ich sowohl in China als auch in Indien zu Zeiten war, in denen es dort eine autoritäre Wende gab.
Ich war genau zu der Zeit, als Xi Jinping gerade zum ersten Mal so richtig an die Macht kam, in China und das war eine autoritäre Wende in einem schon autoritären Staat. Zuerst hatte China natürlich ein autoritäres politisches System, aber es gab eine viel aktivere Zivilgesellschaft. Es gab öffentliche Kritik an korrupten Beamten. Es gab NGOs, die ihre jeweiligen Themen behandelt haben. Es gab eine viel breitere gesellschaftliche Debatte. Dann kam Xi Jinping und das war plötzlich eine Zentralisierung von Macht. Plötzlich funktionierte kein VPN mehr. Jede internationale NGO oder Organisation wurde nach und nach blockiert und ausgemerzt. Das war schon ein sehr spürbarer Wechsel der Stimmung. Das war sehr interessant, weil es ja eine autoritäre Wende in einem schon autoritären Staat war.
In Indien war ich zu der Zeit, als der Hindu-Faschismus gerade sehr stark war unter Narendra Modi und war dort auch an der Uni, die eines der ersten Ziele der Faschisten war, nämlich der JNU in Delhi. Und da war das dann eben auch spürbar. Das war 2014-2015 und 2016-2017.
Damals war dieser Autoritarismus noch nicht als globales Phänomen sichtbar. Damals gab es noch kein Verständnis dafür, dass das, was wir da gerade sehen, über die Einzelfälle hinausgeht, sondern das war maximal etwas, was mit den spezifischen Ländern zu tun hatte. Da fand ich es interessant, dass das solche Ähnlichkeiten hatte. Man hatte in beiden Ländern so einen charismatischen Führer, der sich als einerseits immer zu den Eliten gehörend dargestellt hat und andererseits als so ein „Rags to Riches“, also als eine Person, die sich vom Bordstein zur Skyline hochgearbeitet hat. Das ist bei beiden ganz interessant. Bei Xi Jinping zum Beispiel ist es ja so, dass er der Sohn eines der höchsten Parteimitglieder aus Maos Zeiten und deshalb sehr elitär aufgewachsen ist, er wurde aber in der Kulturrevolution eine Zeit lang verschickt. Seine ganze Story fokussiert sich auf diese Zeit der Kulturrevolution. Man kann jetzt das Haus besichtigen, in dem er gewohnt hat und all das wird super krass betont, während seine elitäre sonstige Bildung, - er war dann auch auf der renommiertesten Uni in China und hatte immer Zugang zu den Parteieliten - das wird eher zur Seite gekehrt oder nur dann erwähnt, wenn es passt.
Und bei Modi ist das ähnlich. Er betont ja immer, dass er Teeverkäufer war, was aber fragwürdig ist, ob das tatsächlich der Wahrheit entspricht, denn es werden trotzdem die Insignien der Brahmanen-Elite reproduziert und er stellt sich optisch als so eine Art Priester dar. Und dann haben sie beide noch so einen neoliberalen Management-Touch. Xi Jinping hat den inzwischen ein bisschen weggelegt. Xi Jinping kam aus Zhejiang, einer sehr reichen Provinz, deren Wirtschaftsmodell immer gelobt wurde und man hatte sich erhofft, er könne das aufs ganze Land projizieren. Bei Modi war das auch so, er galt mit seinem Gujarat-Model als besonders krasser Wirtschaftsmanager. Das hatte bei beiden so eine neoliberale Disruptor-Energie.
Diese Parallelen fand ich interessant und das wollte ich gerne vergleichen, so bin ich dann ins Thema Autoritarismus und Vergleichender Autoritarismus gekommen.
Erzähl doch unseren Zuhörer*innen mal wie ihr - ich verwende hier die Mehrzahl, weil ihr habt das Buch ja als Kollektiv veröffentlicht - wie seid ihr auf die Idee für dieses Buch gekommen? Denn darin ist ja unter anderem auch ein ganz anderes Thema mit verwoben, nämlich die Kunst. Wie seid ihr darauf gekommen?
Das entstand eigentlich aus Unterhaltungen zwischen Börries und mir, in denen wir gemerkt haben, dass wenn wir über Autoritarismus reden, immer total klar ist, dass es nicht die Argumente sind, die zählen. Also es ist nicht so, dass die Faschisten ihre Ideen auf den Markt der Ideen stellen und die Menschen finden diese Ideen dann überzeugend, sondern es geht vielmehr um Tiefenstrukturen. Es geht um Gefühle, die mobilisiert werden, um Affekte, um Ängste. Und das ist eigentlich den meisten Leuten, die sich mehr damit beschäftigen, total klar. Aber wenn wir dann über die Gegenstrategien reden, dann vergessen wir das einfach immer. Dann reden wir doch wieder nur darüber, was die Gegensstrategien für Forderungen haben, welche Organisationsstrukturen sie haben und wie sie argumentieren. Aber wir reden eben gar nicht darüber, was für Sinneseindrücke sie schaffen, was für Gefühle da produziert und kollektiviert, welche Affekte mobilisiert werden. Das alles fehlt. Das haben wir als eine strategische Lücke identifiziert.
Das heißt nicht, dass die anderen Themen nicht auch relevant sind, wie eben Organisationsstruktur, Ideen und all das, aber ohne diese emotional-affektive Ebene kann man Faschismus nicht effizient oder effektiv begegnen.
Ich war ehrlich gesagt bis vor gar nicht allzu lange Zeit noch der Meinung, man müsste alles mit Fakten belegen und rational erklären und dann würden die Menschen das verstehen. Und ich habe immer gedacht, politische Kunst und Kunst an sich ist natürlich nice to have, aber eigentlich jetzt nicht DAS Tool, man könnte auch gut darauf verzichten. Dass ich total falsch lag, das wissen wir, eben aufgrund dieser Emotionalität, die die Menschen einfach haben, da kommt man tatsächlich nicht weiter mit Rationalität.
Was würdest du sagen, wo die Kunst in diesem Prozess tatsächlich ansetzen und weiterhelfen kann, bei all den Herausforderungen, vor denen wir weltweit gerade stehen, was kann Kunst an dieser Stelle?
Das ist ein sehr klassischer Irrtum würde ich sagen, dass man nur aufzeigen muss, wie dumm die Ideen der Faschisten sind oder wie falsch das alles ist und dann würden die Leute das schon verstehen. Es geht eben viel mehr darum, welche Informationen kann ich akzeptieren, welche ist emotional gerade aushaltbar für mich, welche kann ich in mein eigenes Selbstbild und in mein Weltbild integrieren. Darüber denken wir zu wenig nach. Und die Kunst, die denkt da sehr viel drüber nach - wie können wir eigentlich Leute wirklich emotional berühren? Deswegen kommt man so schnell zur Kunst, wenn man darüber nachdenkt. Vielleicht als Beispiel, um zu illustrieren, was ich damit meine:
Es gibt sehr große Anzeichen dafür, dass diese autoritäre globale Wende etwas mit dem Klimawandel zu tun hat und der Unfähigkeit, diesem Klimawandel politisch begegnen zu können und damit, dass wir eigentlich einer Auslöschung der Menschheit gegenüberstehen. Das ist, glaube ich, inzwischen fast jedem bewusst. Aber es ist etwas, was extrem Angst macht. Das ist einfach sehr schwer zu akzeptieren. Und deswegen kann man sehr schnell in eine Verdrängungsreaktion geraten oder in dieses psychologische Angebot, welches die Faschisten den Leuten dann machen, nämlich zu sagen: Wir können das auch nicht lösen und wir können auch keine wirklich Verbesserung anbieten, aber was wir euch anbieten können, ist, dass wir wenigstens innerhalb dieses Zusammenbruchs den besten Deal für euch anbieten, auf Kosten der anderen zum Beispiel. Oder auch einfach nur, dass man seine eigene Verelendung fetischisiert, dass man die quasi abfeiert, diese eigene Verelendung. Das fühlt sich auch nicht wirklich gut an, aber es ist eine psychologische Lösung für dieses sonst extrem beängstigende Problem. Das zu verstehen ist der erste Schritt, aber wie man dann die Klimakrise erfahrbar macht, ohne dass sie so beängstigend ist, dass sie direkt wieder weg verdrängt werden muss, also dass man eine andere psychologische Reaktion schafft, die die Handlungsfähigkeit erhält, da gibt es zum Beispiel sehr viele Ansätze in der Kunst und die sollte man strategisch ernst nehmen!
Jetzt hast du darüber gesprochen, wie Kunst diese Fragen zugänglicher machen kann, ohne dass sie gleich so beängstigend wirken. Jetzt gibt es noch die andere Seite, wenn man weggeht, vom, sagen wir mal, erklärenden Medium, und zwar meine ich wirklich den direkten Widerstand. Wenn es dann schon passiert ist, dass das autoritäre System da ist, die Menschen sind unterdrückt, können sich vielleicht auch nicht mehr so frei bewegen, nicht mehr so frei äußern und entfalten, als wären sie in einer Demokratie. Was kann Kunst im Widerstand?
Im Grunde ist es da dasselbe. Ich wollte auch noch mal sagen, dass es hier nicht darum geht, mit Kunst Informationen zu transportieren, was Linke ja sehr gerne haben, diesen Zugang zu Kunst um sie als besseres Propagandamittel zu instrumentalisieren. Sondern es geht darum, dass wir als erfahrende Wesen mit all unseren Sinnen wahrnehmen und wir auch eine Tiefenstruktur haben, die beeinflusst, was wir überhaupt wahrnehmen oder akzeptieren können. Das ist auch im Widerstand gegen autoritäre Systeme wichtig, um eine gemeinsame, widerständige Welt zu schaffen. Angesichts einer übermächtig und allwissend scheinenden, autoritären Macht, trotzdem den Mut zu haben, da Widerstand zu leisten, auch wenn man alles riskiert. Das kommt nicht davon, dass man radikale Texte liest und dann davon überzeugt wird. Das kommt von den Beziehungen, die man lebt, von den Sinneserfahrungen, von den emotionalen Erfahrungen, die man hat und die einem die Kraft geben, dem ins Auge zu sehen. Und genau da ist Kunst total zentral.
Deswegen sehen wir auch bei den Massenbewegungen, bei den antifaschistischen, aber auch bei den kleinen Kollektiven, die sich erwehren, wie wichtig es ist, eine eigene emotionale Sprache zu finden, eine Symbolsprache, die verstanden wird, eine irgendwie ästhetische Identität zu schaffen und Räume zu kreieren, in denen man weich sein kann, wo man sich gegenseitig unterstützt, wo man sich Kraft gibt. Und auch das ist natürlich künstlerisch. Aber unser Buch geht ja nicht nur um Kunst, sondern es geht eben auch um Kollektiverfahrungen und um Beziehungen.
Ihr habt in eurem Buch Projekte aus verschiedenen Ländern auf verschiedenen Kontinenten vorgestellt. Welche Gemeinsamkeiten habt ihr trotz der geografischen Entfernungen gefunden? Vielleicht Gemeinsamkeiten, die sogar ganz entscheidend dazu beitragen, dass solche Projekte erfolgreich sind, Einfluss haben, vielleicht tatsächlich Dinge verändern, wenn auch nur im Kleinen?
Die Projekte sind sehr unterschiedlich was Orte und Begebenheiten angehen, deswegen gibt es da natürlich große Differenzen, aber es gibt ganz viele Themen, die immer wieder auftauchen. Deswegen haben wir das Buch auch so strukturiert, wie wir es strukturiert haben.
Wir können nicht sagen, dass es da die fünf Merkmale gibt, die alle antifaschistischen Strategien oder alle anti-autoritären Strategien teilen. Aber wir sehen Merkmale, die von zwei oder drei Strategien geteilt und dieses wird. Und dadurch entsteht so eine Mosaikstruktur, die wir dann auch kaleidoskopische Dialektik genannt haben, nach einem Konzept, das es schon gibt.
Eine Sache, die wirklich auffällt, ist, wie wichtig Feminismus in den letzten Jahren für antifaschistischen Widerstand geworden ist. Und das macht total Sinn, denn tatsächlich sind die Angriffe auf die Rolle von Frauen in der Gesellschaft, aber auch auf Frauenkörper selbst, ein verbindendes Thema der Autoritarismen, die wir jetzt gerade sehen. Das zieht sich tatsächlich von China über Indien bis nach Lateinamerika und Afrika überall gleichermaßen durch. Dort haben wir wirklich riesige feministische Massenbewegungen, ob jetzt in Lateinamerika oder in Indien. Aber wir haben auch leiseren, kleineren Widerstand gegen autoritäre Strukturen, die sich in der Familie festsetzen. Zum Beispiel haben wir da einen Beitrag aus Tansania, der sehr interessant ist in dieser Hinsicht.
Eine andere Sache, die wir gesehen haben ist, wie wichtig Erinnerung ist. Zum Beispiel, als Thema für die antifaschistische Art des autoritären Widerstands. Das liegt einfach daran, dass Autoritarismus ein Element der Wahrheitspolitik hat, also wie Geschichte geschrieben wird. Und es wird einfach sehr schnell Geschichte umgeschrieben. Gerade die Geschichte des Widerstandes wird sehr schnell vergessen gemacht und überschrieben. Genau da ist es eben wichtig, die eigene Geschichte aufzuzeichnen und zu zeigen, auch, um eine widerständige Identität aufrechtzuerhalten und diese in der Zukunft wieder aufgreifen zu können. Denn unser Ansatz ist auch, dass wir ein ganz anderes Verständnis von Scheitern von anti-autoritären Widerständen haben. Viele Bewegungen oder Instrumente erreichen ihre Ziele nicht und vielleicht kollabieren sie auch organisatorisch. Aber trotzdem verändern sie die Leute, die daran teilgenommen haben. Wenn Massenbewegungen gemeinsam eine Straße blockiert haben oder gemeinsam in Protestcamps gekocht haben, dann hinterlässt dieses Erlebnis einen Eindruck. Und wenn dann die nächste Gelegenheit aufkommt, dann kommt eben auch die nächste Welle des Widerstandes wieder. Auch deshalb sind diese Erinnerungspolitiken total wichtig.
Ein weiteres verbindendes Element, das wir gesehen haben, ist Humor und dass er strategisch eine wichtige Rolle spielt. Denn wenn man sich diesem scheinbar übermächtigen Gegner, was Autokraten meistens sind, gegenüber sieht, dann hat es etwas Befreiendes, wenn man sich über die Sachen, die eigentlich Angst machen sollen, die unterdrücken sollen, die Kommunikation verhindern sollen, lustig macht oder sie in ihr Gegenteil verkehrt.
Wenn man Protestzäune hat, die einen abschneiden sollen von den Plätzen, auf denen man sich getroffen und kommuniziert hat, wenn die plötzlich selber zu Vehikeln von Kommunikation werden, in dem sie beschrieben werden und so der Widerstand dokumentiert wird, dann ist das Befreiend. Das bricht diese Aura des Schweigens, die der Autoritarismus immer schafft. Denn am Ende ist das Ziel von all diesen Autoritarismen, dass man sich zu Hause auf Sofa setzt und sich nicht mehr gesellschaftlich engagiert, dass man nicht mehr rausgeht, dass man nicht mehr dabei ist. Genau in so einem Moment ist dieses subversive Element, welches diese Stille durchbricht, total befreiend und mobilisierend, zentral, und effektiv.
Ein weiteres Element, das uns ein bisschen überrascht hat, wie viel das kann, war Essen. Ein unterschätzter Aspekt von Gegenstrategien ist gemeinsam Essen, gemeinsam Essen zubereiten. Wie wichtig das war, in Straßenblockaden in Indien unter Planen und Zelten zusammen zu kochen und diesen Zusammenhalt zu fühlen. In Argentinien gibt es eine Strategie, die sich „Verdurazos“ nennt, wo praktisch die Bauern aus der Umgebung Gemüse in die Stadt bringen und dort verteilen und so eine Solidarität über die Stadtgrenzen hinaus geschaffen wird - was dann auch einen autoritären Gegenangriff provoziert hat.
In all diesen wirklich tollen Projekten, die ihr vorgestellt habt und über die ihr gesprochen habt in eurem Buch, hast du da ein Lieblingsprojekt? Vielleicht eins, das dich total beeindruckt hat, eins, das dich emotional abgeholt hat?
Ja, das habe ich tatsächlich. Mein Lieblingsprojekt sind, glaube ich, die Traumposter aus Istanbul. Das ist eine Filmemacherin und Künstlerin aus Istanbul, die Poster gemacht hat, auf denen sie Auszüge aus dem Buch “Das Dritte Reich des Traums” von Charlotte Berend, übersetzt und auf diese Poster gedruckt hat. Charlotte Berend hat bis in die 40er Jahrein Deutschland diese Träume gesammelt und aufgeschrieben und die werden auf diese Poster gedruckt. Und dann gibt es auf der anderen Seite der Poster die Möglichkeit, selbst eigene Träume aufzuschreiben. Das hat die Künstlerin dann an ganz vielen Orten in Istanbul plakatiert. Zu einer Zeit, als die Türkei ihren autoritären Turn sehr stark gespürt hat und bemerkt hat. Ich fand das total interessant, denn über die eigenen Träume zu sprechen ist weniger gefährlich, als Forderungen aufzustellen. Gleichzeitig kommt man auf eine ganz andere affektive Erfahrung, es macht einen ganz anderen gesellschaftlichen Gesprächsraum auf. Und das ist dann auch noch gleichzeitig eminent politisch, wenn es im öffentlichen Raum stattfindet. Ich kann diese Strategie und warum ich sie so beeindruckend finde und sie so gut funktioniert, kaum verbalisieren. Aber es machte für mich sofort Sinn, das als anti-autoritäre Gegenstrategie zu verwenden.
Gerade ist es ja so, dass weltweit die Lage an so vielen Stellen eskaliert, und immer sind natürlich autoritäre Strukturen mit daran beteiligt. Was glaubst du, brauchen wir, dass wir uns weltweit besser vernetzen? Wie können wir oder die, die nicht aktivistisch tätig sind, die Aktivisten und Aktivistinnen, die es tun, unterstützen, stärken? Wie können wir die unterstützen, sodass es nicht nur in deren Bubble sichtbar bleibt?
Erstmal ist das ganze Buch ja eine Übung darin, hoffnungsvoll zu sein, ohne naiv zu sein. Keine dieser Strategien in dem Buch hat eine einfache Lösung für das Problem oder macht sich Illusionen darüber, was für einen Kampf sie da gerade kämpfen. Und trotzdem gibt es insgesamt Hoffnung zu sehen, dass es so viele Menschen gibt, die mit so kreativen Methoden so mutig kämpfen. Das finde ich erstmal total wichtig.
Ich glaube, es gibt ein paar Lehren. Das Erste ist, dass Antifaschismus nicht nur Militarismus und sich irgendwie im schwarzen Block organisieren ist - auch das ist wichtig, deswegen heißt das Buch Beyond Molotovs und nicht anstatt Molotovs - aber wir sehen eben auch, wie unterschiedlich dieser Antifaschismus aussehen kann. Das können eben Gemüseverteilungen in Argentinien sein, die inherent antifaschistisch sind. Das können feministische Graffiti in Indien sein, wo die Menschen wirklich einen antifaschistischen Kampf kämpfen. Diese Kämpfe zu sehen und anzuerkennen und vielleicht auch ein bisschen weniger streng zu sein mit unseren Ausschlüssen. Das wäre, glaube ich, ein wichtiger erster Schritt - uns mehr miteinander zu verbinden und zu sehen, was das schafft.
Das Wichtigste ist aber wirklich dieser Perspektivwechsel. Anzuerkennen, dass eben unser Kampf nicht auf der Ebene der Wörter und der Ideen und nur der Argumente stattfindet, sondern auf dem Emotionalen und auf den Beziehungen und den Affekten, die wir kultivieren. Das hilft uns einerseits zu hinterfragen, welche Räume von Sinneserfahrung, von emotionalem Erleben, von Beziehungen wir aufmachen wollen, aber es hilft uns auch, diese Möglichkeiten etwas mehr zu schätzen.
Das war Sabrina Teifel im Gespräch mit Aurel Eschmann. Das rund 360-seitige Werk „Beyond Molotovs, A Visual Handbook of Anti-Authoritarian Strategies“ ist erschienen im Transkriptverlag und für 39 Euro erhältlich.
Eine Sache haben solche subversiven Aktionen und Projekte sicher immer gemeinsam:
Sie wirken vielleicht nicht sofort, aber sie wirken wie das Motto der zapatistischen Autonomiegebiete in Mexiko – „lento pero avanzo“, z. Dt. „ langsam, aber voranschreitend“.
In diesem Sinne verabschieden wir uns mit dem Schlusswort des Buches:
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