Eine sehr kurze Einführung in den Faschismus
Die Auseinandersetzung mit der Ideologie des Faschismus ist eine komplexe Angelegenheit. Kevin Passmores Einführungslektüre gibt den nötigen Überblick.
Bevor man gegen etwas ist, muss man wissen wofür das steht, gegen das man sein will. Gemäß dieser Haltung sollte eine ausführliche Beschäftigung mit dem Begriff “Faschismus” Pflicht von Antifaschist·innen sein. Dieses Unterfangen ist jedoch kein leichtes: Zu weit und vielschichtig ist das Feld. Während sich der Fokus in Deutschland vor allem auf die nationalsozialistische Vergangenheit richtet, werden entscheidende Unterschiede zu den Faschismen in anderen Ländern oft nur oberflächlich wahrgenommen.
Um sich in diesem Wirrwarr an historischen, politischen und kulturellen Faktoren zurechtzufinden, lohnt der Blick in eine Einführungslektüre, wie etwa Kevin Passmores “Fascism. A Very Short Introduction”, aus der gleichnamigen Reihe der Oxford University Press.
Der Historiker wählt als roten Faden seines Buches ein Zitat des spanischen Philosophen José Ortega y Gasset, der 1927 in einem Essay schrieb, dass Faschismus A und gleichzeitig nicht A sei. Die Widersprüchlichkeit, so der Autor, sei ein zentrales Element des Faschismus.
Dies ist in der Tat schwer zu übersehen und auch ein Grund dafür, warum Faschismus als Ideologie oft schwer greifbar ist. Das beginnt bereits beim Begriff und führt über die Definitionen zu den tatsächlichen Regimen, die als faschistisch bezeichnet werden. Zu den vielen Ähnlichkeiten lassen sich ebenso viele Unterschiede finden – ein Umstand, auf den auch Umberto Eco in seinem Aufsatz über den Ur-Faschimus hinweis.
Um die Unterschiede in der Praxis herauszuarbeiten, beginnt Passmore nicht nur mit verschiedenen historischen Episoden, sondern widmet etwa dem NS-Staat in Deutschland, dem faschistischen Staat in Italien oder den verschiedenen Faschismen im frühen 20. Jahrhundert eigene Kapitel.
Eine Frage der Definition
Dabei versäumt Passmore es nicht, auf die Definitionsproblematik näher einzugehen, insbesondere auf das Dilemma der Genauigkeit einer Definition. Ist sie zu präzise, fallen viele Gruppen aus ihr heraus. Ist sie hingegen zu allgemein formuliert, werden zu viele Gruppen mitaufgenommen.
Die Relevanz der Definitionsproblematik darf nicht unterschätzt werden: “Faschismus” wird mittlerweile inflationär als politischer Kampfbegriff zur Diffamierung des politischen Gegners benutzt – oftmals handelt es sich nicht um tatsächliche Faschist·innen. Dies verharmlost jedoch die menschenverachtende Ideologie und führt dazu, dass sich etwa in Spanien konservative Politiker ironisch als “Faschisten” bezeichnen.
Dies führt zu der absurden Situation, dass sich die politische Linke über diese Äußerungen echauffiert, obwohl sie die konservative Volkspartei Partido Popular(PP) aufgrund ihrer Verbindungen zum Franquismus oft als faschistsich bezeichnet. Natürlich handelt es sich bei den Politiker•innen um keine Vollblutfaschist·innen. Eine solche Behauptung würde politikwissenschaftlich keinen Bestand haben. Es zeigt jedoch, dass sich der Begriff “Faschismus” im politischen Alltag weit von der eigentlichen Ideologie gelöst hat – und dies führt unweigerlich zu einer Verharmlosung des tatsächlichen Faschismus.
Gleichzeitig muss man sich auch der Frage stellen, ob im 21. Jahrhundert “Faschismus” noch der richtige Begriff ist. Wie Passmores Betrachtungen zeigen, handelt es sich bei dem klassischen Faschismus um ein Phänomen, das in einen historischen Kontext gebettet ist.
Mit der Verwendung des gleichen Begriffes heutzutage wird jedoch suggeriert, dass es sich sich um etwas Identisches handle – dabei ist dies eine historische Unmöglichkeit. Stattdessen wird der Faschismus heute zwangsweise anders verpackt. Mit dem Begriff “Neofaschismus”, wie er etwa von der VVN-BdA verwendet wird, lässt sich besser arbeiten. Auch lohnt eine klare Differenzierung zwischen Rechtspopulist·innen und Faschist·innen, wie etwa die österreichische Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl mit dem Begriff “radikalisierter Konservatismus” vollzieht. Passmore selbst spricht von Nationalpopulist·innen.
Zwar gehen diese Überlegungen über den Rahmen des Buches hinaus, was auch daran liegt, dass die zur Rezension vorliegende Ausgabe im Jahr 2002 erschienen ist (es gibt eine Neuauflage von 2014, in der auf neuere Entwicklungen eingegangen wird), dennoch sind sie mit den Gedankengängen des Autors eng verbunden.
Was ist Faschismus?
Passmore nimmt möglichst viele Elemente in die Definition auf, die über bloße Begrifflichkeiten wie Nationalismus, Militarismus oder Antisemitismus hinausgehen. So beschreibt er Faschismus als eine ultranationale Bewegung, die Teil einer militärisch organisierten Massenpartei ist. Die biologisch, kulturell und/oder historische definierte Nation zieht sich durch alle anderen Elemente, wie etwa dem Antisozialismus oder Antifeminismus. Auch konservative Werte können im Faschismus über Bord geworfen werden, sofern sie dem nationalen Interesse im Weg stehen.
Die differenzierte Betrachtungsweise Passmores zeichnet ein vielschichtiges Bild, das den Faschismus als eine klassenübergreifende Ideologie beschreibt, die sich auf Entwicklungen im späten 19. Jahrhundert (Eugenik, Antiliberalismus, Nationalismus, Antisemitismus) stützt. Die Zwischenkriegszeit diente als Katalysator für die Etablierung faschistischer Gruppen in ganz Europa.
Durch diesen relativ eng definierten Faschismusbegriff geht Passmore äußerst vorsichtig mit den rechtsextremen Bewegungen außerhalb Europas um. Zwar hätten diese einige Merkmale der europäischen Vorbilder kopiert, aber dennoch handle es sich eher um einen autoritären Konservatismus, der sich auf Kirche, Armee und Staatsverwaltung stützte.
Dies lässt Passmore auch den sogenannten Klerikalfaschismus in Frage stellen. Vielmehr stünden das franquistische Spanien und der österreichische Ständestaat in der Tradition des autoritären Konservatismus. Die Einordnung beider Systeme als “faschistisch” ist umstritten und am Ende eine Definitionsfrage.
Schwierige Betrachtungsweise
Besonders lesenswert ist das elfte Kapitel, in dem Passmore unter anderem die Frage stellt, wie wir in der Gegenwart über Faschismus schreiben sollen. Dabei handelt es sich um keine leicht zu beantwortende Frage.
Passmore formuliert die Rolle der Akademiker·innen sehr vorsichtig: “Historiker können allenfalls auf die Komplexität moralischer Entscheidungen in der Vergangenheit hinweisen, während Soziologen und Politikwissenschaftler bei der Konzeption und Bewertung der Regierungspolitik – unter demokratischer Kontrolle – eine Rolle spielen können.”
Auch warnt der britische Historiker davor, alleine aus dem Studium des Faschismus antifaschistsiche Strategien zu entwickeln. Dies würde nämlich etwa an der Kontextualisierung scheitern. Außerdem muss ebenso der Antifaschismus unter die Lupe genommen werden. “Die historische Forschung zeigt, dass es nicht die eine Methode gab, die gegen den Faschismus universell wirksam war.”
Navigationsschwierigkeiten
Die Stärke von Passmores Einführungslektüre liegt in seinem internationalen Ansatz, der durch viele Beispiele die Vielfältigkeit des Faschismus skizziert. Ebenso dient das Buch als Überblick über die verschiedenen Betrachtungsweisen des Faschismus. Passmore nimmt die Leser·innen mit auf eine lehrreiche Reise durch die Geschichte, politische Theorie und Soziologie.
Diese Reise hätte jedoch etwas besser geplant werden sollen. Zwar zieht sich das erwähnte Zitat von Ortega y Gasset wie ein roter Faden durch das Buch, doch fehlt es dem Aufbau an Kohärenz. Von der Definitionsfrage springt Passmore zu der geographischen Verordnung mit den Fallstudien Deutschland und Italien, um anschließend über die Entwicklungen nach 1945 zu schreiben und das Buch mit den Fragen nach Klasse, Gender, Nation und Rasse zu beenden. Diese Themen hätten zu Beginn des Buches ausführlicher behandelt werden sollen.
Trotz dieses Schönheitsfehlers ist “Fascism. A Very Short Introduction” eine gute Einführung in ein komplexes Thema.
Fascism. A Very Short Introduction
Kevin Passmore
Oxford University Press, 194 Seiten
£ 8.99