Ernst Kirchweger Haus – Autonome Bastion Wiens
Im Wiener Bezirk Favoriten steht das Ernst Kirchweger Haus (EKH): Ein autonomes Zentrum, das immer wieder Zielscheibe rechtsextremer Angriffe ist.
“Vor uns liegt eine Welt zu erfinden!”
Mit diesen Worten endete das erste Flugblatt der kurdischen Kommunist•innen und österreichischen Antifaschist•innen, die am 23. Juni 1990 ein Gebäude in der Wielandgasse 2 – 4 im Wiener Bezirk Favoriten besetzten. Es war der Beginn eines Kampfes für das Recht auf ein alternatives Zusammenleben und einer antifaschistischen Utopie. Das Ernst Kirchweger Haus (EKH) in Wien war geboren.
Erbaut in den 20er Jahren als Schule, befand sich das Gebäude in der Wielandgasse seit 1945 im Besitz der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ). Diese hatte jedoch die Räume kaum genutzt, argumentierten die Aktivist•innen, als sie das Haus besetzten.
“Wenn ein solches Objekt, in den Händen einer bestimmten Gruppe, von dieser nicht oder nur teilweise benutzt wird, so ist es das Recht anderer Gruppen und Initiativen, die unbenutzte Infrastruktur für sich in Anspruch zu nehmen.” Schon im ersten Flugblatt wurde das neue antifaschistische Zentrum “Ernst-Kirchweger-Haus” getauft.
Namensgeber Ernst Kirchweger
Der Name kam nicht von ungefähr: Der Kommunist Ernst Kirchweger wurde am 31. März 1965 bei einer Demonstration in der Wiener Innenstadt von dem 24-jährigen Neonazi Günther Kümel attackiert und dabei schwer verletzt. Der 67-jährige Kirchweger erlag seinen Verletzungen zwei Tage später. Kümel wurde zu 10 Monaten Haft verurteilt.
Obwohl Kirchweger das erste politisches Todesopfer der zweiten österreichischen Republik war, weigerte sich das Land dem Kommunisten zu gedenken. Dabei war er stets ein überzeugter Antifaschist und während der Zeit des Nationalsozialismus in verschiedenen illegalen Gewerkschaften tätig. Eine Gedenktafel wurde erst 1989 enthüllt.
Unzufriedene Vermieter
Trotz ihres bekannten Sohnes war die KPÖ von der Besetzung weniger begeistert: Sie versuchten kurz darauf mit den Aktivist•innen zu verhandeln, doch diese wollten keinen Kompromiss eingehen. “[W]ir werden viel zu arbeiten und zu kämpfen haben, bis wir einen Teil unserer Träume in die Realität umsetzen können. Dafür brauchen wir eben dieses Haus als Zentrum. Wir verlangen von allen Linken, diese Positionen so weit zu akzeptieren, und uns keine Hindernisse in den Weg zu legen.”
Die österreichischen Kommunist•innen befanden sich zu dieser Zeit in keiner guten Situation. Eine politische Neuausrichtung wurde nach dem langsamen Zerfallen des Sowjetkommunismus notwendig. Die Gründung eines linken Wahlbündnisses scheiterte, zwei Drittel der Mitglieder traten aus der Partei aus.
Die Auseinandersetzung mit den Aktivist•innen des Ernst Kirchweger Hauses kam zu einem äußerst schlechten Zeitpunkt. Unterstützung bekamen die Besetzer•innen zudem aus der Kulturszene: Die Schriftstellerin Elfriede Jelinek oder der Essayist Michael Scharang setzten sich für die Belange des EKH ein.
Im April 1991 konnten schließlich erste Mietverträge (Symbolmiete von einem Schilling) zwischen den kommunistischen Besitzer•innen und dem EKH geschlossen werden. Dies bedeutete jedoch nicht das Ende der Auseinandersetzungen. Immer wieder schalteten die Kommunist•innen die Polizei ein.
Kapitalistische Partei Österreichs?
Im Jahr 2003 kam die KPÖ in eine schwierige finanzielle Lage: Die Vermögenswerte der Partei wurden beschlagnahmt, weil die Novum GmbH, nicht wie vorerst angenommen im Besitz der KPÖ stand, sondern zum SED-Vermögen gezählt wurde. Die Partei verlor rund 100 Millionen Euro und stand vor dem Aus.
So entschied man sich im Jahr 2004 das EHK für 600 000 Euro zu verkaufen – ausgerechnet an eine Immobiliengesellschaft, deren Geschäftsführer Christian Machowetz war. Dieser war laut Szeneninformationen in den 70er Jahren Mitglied der neonazistischen “Aktion Neue Rechte.” Der Verkauf löste eine große Debatte innerhalb der linken Szene aus: Der KPÖ wurde Verrat vorgeworfen und es entstand der Slogan “EKH bleibt”.
Schließlich erwarb die Gemeinde Wien das Gebäude für 1,7 Millionen Euro. Bis heute unterstützt die Gemeinde einige Projekte im EKH mit Geldern, was nicht unumstritten ist.
Für die rechtspopulistische Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) handelt es sich beim Ernst Kirchweger Haus um “eine Schaltstelle linksextremistischen Terrors”. Durch solidarische Unterstützung für Flüchtlinge in Asyl und Fremdenrechtsfragen agieren einige Gruppen in rechtlichen Grauzonen. Außerdem befinden sich im EKH unter anderem ein Computerlabor, Frauenschreiberwerkstätten und Notschlafstellen für Flüchtlinge.
Zielscheibe von rechtsextremen Angriffen
Durch ihren Aktivismus und Einsatz im linksalternativen und auch im kulturellen Bereich, war das Ernst Kirchweger Haus immer wieder im Fokus von rechtsextremen Angriffen:
Unsterblich Wien, 27. Oktober 2013
Am 27. Oktober 2013 stürmten rund 30 Nazis der Gruppe “Unsterblich Wien” das EKH. Sie wollten in den oberen Stock, da dort ein Migrantenverein zum Frühstück geladen hatte. Nebenan tagte eine kommunistische Gewerkschaft. Gewerkschafter Rudolf F. sah, wie sieben Angreifer versuchten in den oberen Stock zu gelangen und rief um Hilfe um die anderen zu warnen. Kurz darauf ging er zu Boden: Schädelprellung, leichte Gehirnerschüttern und eine Rissquetschwunde im Gesicht waren die Folge.
Bewaffnet mit Steinschleudern und Holzknüppeln drangen die Angreifer ein. Doch die Gewerkschafter•innen wehrten sich gegen die Nazis und verdrängten sie aus den Zimmern des Migrantenvereins. Einige von ihnen konnten bis zum Eintreffen der Polizei festgehalten werden.
Neun Personen wurden festgenommen, jedoch nur wegen Hausfriedensbruch und leichter Körperverletztung angeklagt. Karin Wilfingseder von der kommunistischen Gewerkschaft kritisierte, dass der Strafantrag das Gefahrenpotential des Angriffs verkennen würde. “Die Botschaft dahinter kann als Einladung verstanden werden, auf linke Aktivisten loszugehen.” Immerhin sei die Gruppe “Unsterblich Wien” für ihre “Gewaltbereitschaft und ihren Rassismus berüchtigt”.
Türkische Nationalist•innen, 30. Juli 2016
Da sich im Ernst Kirchweger Haus auch kurdische Vereine befinden, war das linke Zentrum auch Zielscheibe für türkische Faschisten. Diese stürmten am 30. Juli 2016 eine Feier der serbischen Gesellschaft und brüllten antikurdische und antikommunistische Parolen. Wie einige Medien berichten, sollen sie die anwesenden Personen gefragt haben, ob sie Kurden seien. Als diese verneinten, zogen die Faschisten wieder ab.
Randale blieb jedoch nicht aus: Ein Zeuge berichtete, wie Plakate von der Wand gerissen und ein Feuer neben einer Holztreppe gelegt wurden. Dieses konnte jedoch schnell wieder gelöscht werden. Nach diesem Vorfall wurde der Verfassungsschutz eingeschaltet.
Graue Wölfe, 24. Juni – 25. Juni 2020
Auf einer Kundgebung für Frauenrechte und für Kurdistan in Wien-Favoriten attackierten türkische Faschisten die Teilnehmer•innen. Auch vor dem EKH kam es zu Angriffen. Am folgenden Tag kam es zu einer erneuten antifaschistischen Demonstration, bei der türkische Nationalisten wiederholt die Kundgebung störten und angriffen.
Laut eines Statements des EKH, “sammelten sich rechtsextreme Graue Wölfe, AKP-Anhänger und selbsternannte ‘Wächter von Favoriten’ erneut in der Gegend und griffen das Ernst Kirchweger Haus an, nachdem sich die Polizei trotz der offensichtlich bevorstehenden Eskalation zurückzog.”
Es kam zu einer Randale von bis zu 300 türkischen Faschisten, die mit Steinen, Flaschen und Feuerwerkskörpern das EKH angriffen. Außerdem versuchten sie gewaltsam in das Gebäude einzudringen. Die Polizei griff verspätet ein und wurde ebenfalls von den Faschisten attackiert, wie sie in einer Pressemitteilung bekannt gab. Erst gegen 22:30 Uhr beruhigte sich die Lage wieder.