Jonathan Guggenbergers "Opferkunst" - bitterböse Satire oder bloĂe Beschreibung der RealitĂ€t?
In seinem 2024 in der Edition Tiamat erschienenen Roman nimmt der Autor die sogenannte PalÀstina-SolidaritÀt der Berliner und der internationalen Kunstszene ins Visier.
Dieses Buch zu schreiben, muss eine Herausforderung gewesen sein, denn Satire lebt von Zuspitzung. Aber wie lĂ€sst sich etwas zuspitzen, das Menschen mit klarem Verstand und einem MindestmaĂ an Antisemitismus-SensibilitĂ€t in weinendes KopfschĂŒtteln und Verzweiflung versetzt?
Der Mehrwert dieses Buchs liegt in seiner kompakten und zugleich umfassend ausgeleuchteten Darstellung des Irrsinns: Auf rund 250 Seiten gelingt es Guggenberger, sĂ€mtliche AbgrĂŒnde des PalĂ€stina-Aktivismus auf unterhaltsame, hĂ€ufig auch auf witzige Weise aufzuzeigen. Eingebettet in einer stringent erzĂ€hlten Geschichte aus Sicht eines Berliner Feuilleton-Journalisten, dessen KĂŒnstlerfreund sich auf der Biennale in Venedig ans Kreuz nageln lĂ€sst und sich anzĂŒndet. âPalestine will set us free!â, erscheint bei dieser tödlichen Kunstaktion auf einem LED-Laufband.
âUnd mit den Worten âPalestine will set us free! Palestine will live forever!â, die dort ĂŒber seinem kĂŒhn erhobenen Kopf aufleuchteten, wurde mir klar, wurde jedem hier klar: Aaron brannte fĂŒr uns alle.â (Jonathan Guggenberger, âOpferkunstâ, S. 245)
Der Sog des selbstreferentiellen PalÀstina-Aktivismus
Guggenberger lĂ€sst den Journalisten Enzo Bamberger in der Ich-Perspektive und im RĂŒckblick schildern, wie er sich mit dem irischen AktionskĂŒnstler Aaron Geldof anfreundet und wie dies in einer Selbstverbrennung gipfeln konnte. In dieser tragischen und irrwitzigen Geschichte treffen sich zwei Menschen, die sich sicher und gerne in der abgehobenen Kunst- und Kulturszene mit Ausstellungen, Partys, Performancekunst und Drogen bewegen. Und hier finden sich zwei zusammen, die sofort nach dem 07. Oktober Feuer und Flamme sind â fĂŒr die palĂ€stinensische Sache.
Um das Schicksal der PalĂ€stinenser*innen geht es aber nur am Rande. In einer eindrucksvollen Szene kaufen Enzo und Aaron in einem arabischen Laden auf der Sonnenallee zwei schicke Kufiyas und flanieren anschlieĂend Hand in Hand auf dieser ĂŒberregional bekannten StraĂe. Anfangs befĂŒrchtet Enzo homophobe Vorurteile, sorgt sich zudem vor dem Vorwurf der cultural appropiation. Aber es kommt anders:
âUnd mit jedem Auto, das an Kreuzungen fĂŒr Aaron und mich stehen blieb oder im Vorbeifahren hupte, die palĂ€stinensische Fahne aus dem Fenster hielt und uns LuftkĂŒsse zuwarf, wich die Scham, und rĂŒckte mir der Stolz in die Schultern. Zum ersten Mal hatte ich das GefĂŒhl: Ich gehe aufrecht.â (Jonathan Guggenberger: âOpferkunstâ, S. 161)
Antisemitisch, zweifelsohne.
Lob verdient Guggenberger fĂŒr die hervorragende Figurenzeichnung. Mit Enzo schafft er eine Figur, welche die Argumentationsmuster postkolonialer Strömungen verwendet. Zugleich aber ein weiteres Merkmal aufweist: Enzo ist deutscher als deutsch. Immer wieder schimmern tiefsitzende antisemitische Denkmuster durch. Am 13. Oktober 2023 besucht er Aaron zum Beispiel in seiner neuen Wohnung an der Sonnenallee und erfĂ€hrt erst jetzt, dass sein Freund jĂŒdische Wurzeln hat. Entsprechend auch Aarons Schwester Kat, fĂŒr die sich Enzo seit langem interessiert:
âIch erschrak wieder. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich ja nicht gewusst, dass Aaron einer von ihnen war â Kat eine von ihnen. [âŠ] Aber irgendwie machte es plötzlich Sinn. Und ja: Bei Kat hatte ich es auch schon vermutet. Ihre IntellektualitĂ€t, der Wunsch anders zu sein, hervorzustechen durch ihre Brillanz, Paris, die ganze Sache mit Hugo â das alles ergab jetzt ein stimmiges Bild. (Jonathan Guggenberger: âOpferkunstâ, S. 146)
Der 07. Oktober ist fĂŒr Enzo kein Erweckungserlebnis: Schon zuvor schreibt er wĂŒtend gegen die Folgen der umstrittenen documenta-Ausstellung an. FĂŒr ihn kein Antisemitismus-Skandal, sondern ein Rassismus-Skandal. Der 07. Oktober befeuert aber sein Engagement. Ihn irritiert nicht etwa das brutale antisemitische Massaker der Hamas, er fĂŒhlt sich bestĂ€tigt:
âAuch meine alte Wut war nach dem siebten Oktober wieder da.â (Jonathan Guggenberger: âOpferkunstâ, S. 155)
Aaron steht dagegen beispielhaft fĂŒr eine internationale Kunstszene, welche das schlichte Gut und Böse liebt. Sich den Anschein des Rebellischen gibt, zugleich aber im Mainstream der eigenen Bubble mitschwimmt. Das Komplexe ignorierend, das Parolenhafte vorziehend, Kritik und Widerworte mit Gejammere und Geraune beantwortend. Ăhnlich wie Pegida-Fans und Co., die AbsurditĂ€ten der eigenen Argumentation ĂŒbersehend: âDas GebrĂŒll der zum Schweigen Gebrachtenâ ĂŒberschrieb die Jungle World im Oktober 2023 einen Artikel ĂŒber die sich unterdrĂŒckt FĂŒhlenden. Ein lesenswerter Artikel, in dem sich viele Ăberschneidungen zu Guggenbergers Novelle finden. Mit der aus SĂŒdafrika stammenden KĂŒnstlerin Candice Breitz erwĂ€hnt dieser Jungle-World-Beitrag eine zentrale antizionistische Akteurin, die Aaron Ă€hnelt. Beide mit jĂŒdischen Wurzeln, beide aus dem Ausland stammend und an Deutschland verzweifelnd: âFree Palestine from German Guiltâ.
Und beide sind sich mit dem Verweis auf die eigene jĂŒdische IdentitĂ€t sicher, dass sie vor Antisemitismus gefeit seien. Der realen Breitz und dem fiktiven Aaron wĂ€re zu wĂŒnschen, dass sie sich ein Instagram-Video von Rosa Jellinek ansehen. In unmissverstĂ€ndlicher Klarheit stellt sie fest, dass auch JĂŒdinnen*Juden antisemitisch sein können. Alles andere sei âtodesweit entfernt von der RealitĂ€t von Antisemitismus.â
Diese Novelle ist nicht weniger als eine brillant geschriebene Abrechnung mit dem modernen Antisemitismus in der Kulturszene und den sich progressiv gebenden GroĂstadtmilieus!
Nach der LektĂŒre von âOpferkunstâ auf einer Demo in Berlin
08. MĂ€rz 2025: Ich bin nach Berlin gereist, um an der Feminism-Unlimited-Demonstration teilzunehmen. Mehrere Tausend Teilnehmer*innen folgten dem Aufruf der 2024 gegrĂŒndeten Gruppe, die sich fĂŒr einen universellen Feminismus und gegen jeden Antisemitismus einsetzt. Die Redner*innen decken ein breites Themenspektrum ab: rechte Queerfeindlichkeit, hĂ€usliche Gewalt, Islamismus, die Lage von JĂŒdinnen nach dem 07. Oktober, die Situation von Frauen im Iran und Sudan.
Die gesellschaftliche Linke ist nicht verloren, auch in Berlin nicht, denke ich, nahezu euphorisiert von dieser Demo. Im Anschluss fahre ich mit dem ĂPNV nach Neukölln in die linke Kneipe Bajszel. Die U-Bahn fĂŒllt sich unterwegs, mit Teilnehmer*innen anderer linker Demos. Jung, hippe Outfits, Regenbogen-Embleme. Und Pali-TĂŒcher. Nicht wie frĂŒher aus leichtem Stoff und lose um den Hals hĂ€ngend, sondern aus festem Stoff und wie ein Kopftuch angelegt.
Ich erinnere mich an die LektĂŒre von Guggenbergers âOpferkunstâ. Treffend, denke ich. Aber auch: mehr Beschreibung der RealitĂ€t als Ăberspitzung.
Titel: Opferkunst
Autor: Jonathan Guggenberger
Erscheinungsjahr: 2024 Verlag: Edition Tiamat Seitenzahl: 256
Preis: 20,00 Euro
Unser Gastautor Andreas Schmid stammt aus dem SĂŒddeutschen und lebt seit zwanzig Jahren in Dresden, wo er sich trotz aller politischen Herausforderungen heimisch fĂŒhlt. Er betreibt die Blogs âHoffnung, doch. Einblicke in den anderen Ostenâ und âKrimiperlenâ
Herzlichen Dank fĂŒr die Rezension. Klingt nach einem interessanten literarischen Experiment. Allerdings möchte ich als Leserin mich nicht wirklich mit diesem antisemitisch eingestellten Helden identifizieren mĂŒssen, was bei der Ich-Form, in der das Buch geschrieben ist, ja zwangslĂ€ufig der Fall ist. Warum wurde keine andere Perspektive gewĂ€hlt? Das wĂŒrde mich interessieren.