Ländliche Idylle mit ernstem Hintergrund – woher kommt in Zukunft unser Essen?
Der Gemüsebauer Valentin Kuby bereitet sich auf die Folgen der Klimakatastrophe vor: Mit Market Gardening und Permakultur hat er sich in Arnstorf ein regeneratives Paradies geschaffen.
Bei meiner Ankunft auf der „Local Farm“ werde ich von Hofhündin Gaia empfangen – ihr Herrchen Valentin finde ich unter dem großen Apfelbaum im Garten, wo er gerade mit einer Freundin die Zutaten für eine Burger-Sauce auf Backblechen verteilt.
Nachdem auch ich kurz eingespannt werde, ein Blech mit ins Haus in den Ofen zu tragen, setzen wir uns in die große Küche zu einem leckeren Glas Apfelsaft – natürlich aus eigener Herstellung – um ersteinmal zu klären, warum das alles. Warum sich in diesem kleinen Rahmen diese ganze Arbeit machen, wenn man doch im Supermarkt um die Ecke all das in vielfacher Ausführung bequem besorgen könnte?
Vom Masterstudium zum Gemüsebauer
Valentin Kuby hat sein Bachelor-Studium in Staatswissenschaften/Governance and public policy an der Universität in Passau absolviert, um anschließend seinen Master in Economics for transition am Schuhmacher College, welches Teil der University of Plymouth ist, abzulegen.
Je tiefer er in die Materie eintauchte, umso offensichtlicher wurde für ihn, dass für all die Theorie und all die Bürokratie keine Zeit mehr ist, dass das System die radikalen Veränderungen, die notwendig wären, gar nicht zulässt. Er wollte handeln. Es endlich anpacken. Als die Corona Pandemie ihn schließlich zurück auf den elterlichen Hof in Arnstorf, Niederbayern brachte, nahm Valentin die Sache buchstäblich selbst in die Hand, setzte seine Ideen in die Tat um und die „Local Farm“ entstand.
Von der Theorie zur Praxis
Grundlage des Konzeptes der „Local Farm“ ist „market gardening“, das unter anderem dafür steht, das Gemüse ressourcenschonend und nachhaltig anzubauen und direkt an die Verbraucher•innen zu verkaufen. Tatsächlich kann man mit dieser Anbau- und Handelsweise eine Effizienz erreichen, die ganze 250 mal höher ist, als beim konventionellen Gemüseanbau. Außerdem ist das Ausbleiben von Verpackung und langen Transportwegen natürlich ein weiterer, großer Pluspunkt. Ziel von Valentin ist es, einmal 40 Haushalte in der Region mit Lebensmitteln aus seinem Anbau und der hofeigenen Herstellung zu versorgen.
Auf dem Weg durch die Beete bin ich überrascht über die bunte Vielfalt, die hier so üppig wächst – und das ganz ohne künstliche Dünger! Es gibt die verschiedensten Sorten und Varianten, viele stehen eng beieinander oder übereinander, sodass die Flächen optimal genutzt werden. Überall surren und flattern unzählige Insekten, der Garten ist eine saftig-grüne Oase – es scheint, als wäre hier die Welt tatsächlich noch in Ordnung. Oder als käme sie Dank der regenerativen Bewirtschaftung wieder in Ordnung.
Doch die diesjährige Trockenheit macht auch vor diesem Mikroklima keinen Halt. Valentin zeigt mir Risse im Boden, die so breit sind, dass wir unsere Hände hineinstecken können. Nicht weit davon entfernt befindet sich ein Beet, das leer geblieben ist. Hier hätte eigentlich Meerrettich wachsen sollen, eine Pflanze, die keine besonders großen Ansprüche hat und es eigentlich immer irgendwie schafft, auszutreiben. Doch die Hitze und Trockenheit in diesem Jahr waren selbst für den robusten Meerrettich zu viel und er kam einfach nicht.
Mehr als nur Begrifflichkeiten
Während wir so durch den Garten schlendern, fallen immer wieder die Begriffe „Permakultur“ und „market gardening“. Als wir uns schließlich auf den Liegestühlen unter Bäumen niederlassen, hake ich nach:
Was genau versteht man unter diesen beiden Begriffen?
Permakultur ist ein größerer Begriff, den man eigentlich mit drei Grundsätzen erklären kann: Naturecare, peoplecare und fair-share. Darum ist das eigentlich ein Oberbegriff für all das, was ich mache. Es ist ein begleitend in die Natur eingreifen, die Natur machen lassen und nicht gegen sondern mit der Natur arbeiten. Die Technik, die wir hier verwenden ist das „Market gardening“, also der „Marktgarten“. Dieses Prinzip hat seine Wurzeln zum Beispiel in den alten Gärten rund um Paris und auch um die großen Städte in Deutschland, denn irgendwo musste ja das Gemüse herkommen, das gegessen wurde.
Entstanden ist das „neue“ market gardening in Kanada. Jean Martin Fortier ist einer der Pioniere auf diesem Gebiet. Er hat das große Buch „The Market Gardener“ geschrieben (dt. „Biogemüse erfolgreich direktvermarkten“). Das Besondere an der Technik ist zum einen, dass sie sehr viel Standardisierung verwendet. Es gibt eine standardisierte Beerbreite, nämlich 75cm – traditionell sind 1,20m, aber bei 1,20m Beetbreite kann man nicht drüber steigen, bei 75cm kann man bequem drüber stehen.
Ein weiteres wichtiges Prinzip meiner Arbeit ist, dass ich da sorgfältig und systemisch arbeite, wo es notwendig ist, wir jäten nie aus optischen Gründen, sondern immer da, wo es der Kultur gut tut. Und damit das schnell geht, ist es eben wichtig, dass man sich an Standardisierungen hält. Das spart Zeit und gibt uns eine besondere Effizienz, die das Ganze auch wirtschaftlich macht. Es ist also nicht nur ein nachhaltiges, sondern auch ein wirtschaftlich interessantes Projekt.
Wie geht ihr mit dem Anbau selbst um? Wie sieht es aus mit Fruchtfolgen, Schädlingen usw.?
Die Fruchtfolge ist das eine, Kohl darf zum Beispiel nicht auf Kohl folgen, sonst kommen zu viele Schädlinge. Das ist aber nur ein Teil dessen, was wir beachten müssen. Wir achten zum Beispiel auch darauf, welche Pflanze neben welcher steht. Zwischen unseren Tomaten haben wir Basilikum gepflanzt, das passt nicht nur gut zur Ernte zusammen, sondern sorgt auch dafür, dass sich Insekten wohlfühlen und diese beiden Pflanzen ergänzen sich durch ihren ähnlichen Wasserbedarf. So versuchen wir, Platz zu sparen, indem wir Pflanzen nebeneinander und untereinander pflanzen, die sich ergänzen.
Wenn dieses Prinzip insgesamt so viele Vorteile bietet, selbst in der Wirtschaftlichkeit, wieso wird dann so vieles davon nicht mehr in der konventionellen Landwirtschaft umgesetzt?
Ich habe jetzt ungefähr 55 Kulturen auf 650m². Normalerweise macht man auf mehreren Hektaren eine Kultur. Das lässt sich mit einem großen Traktor bewirtschaften. Ich habe einen kleinen Traktor mit 27 PS, das sind andere Dimensionen. Mit der Arbeitszeit, die ich hineinstecke, ist die gesamte Kilozahl, die erwirtschaftet wird, nicht besonders hoch und es ist schon so, dass man sehr viel Handarbeit braucht, es also sehr viel arbeitsintensiver ist.
Wie sieht’s aus bei dir mit Pestiziden und Insektiziden?
Hab‘ ich nicht. (lacht herzhaft)
Aber ich spritze schon. Und zwar ätherische Öle und Hopfenextrakt. Das Hopfenextrakt verwende ich auch prophylaktisch, das legt sich auf die ganze Pflanze wie eine Schicht und sorgt für eine systemische Immunreaktion, weil die Pflanze sich massiv attackiert fühlt. Das hat zum Beispiel auch geholfen, das Mosaikvirus, das ich auf meinen Gurken habe und als ziemlich übles Virus gilt, einzudämmen.
Welche Aspekte beachtet ihr außerdem, um nachhaltig zu sein, beispielsweise bei Transport und Verpackung?
Es geht ja bei der Permakultur nicht nur darum, nicht zu zerstören, was da ist, sondern darum, aufzubauen. Der zentrale Punkt ist unsere Hauptkultur, das, was wir hauptsächlich produzieren, und das ist Humus. Wir bauen hauptsächlich Humus auf und im Nebenprodukt Gemüse. Humus ist die Schicht, von der wir leben. Da sind wir nicht nur nachhaltig, da sind wir regenerativ. Im Verkauf verwenden wir zum Beispiel kompostierbare Gummis und Tüten, wir haben ein Pfandsystem bei unseren Kisten und Jutebeuteln.
Wie denkst du, wird es weitergehen mit der Landwirtschaft? Denkst du, wir können tatsächlich wieder zurück zu solch kleineren, regionalen Betrieben, so dass wir die großen konventionellen Betriebe und damit den Schaden, der dadurch entsteht, vermeiden können?
Ein Zurück braucht es gar nicht, es braucht eine Weiterentwicklung und da gibt es tolle Konzepte zum Beispiel von Jonas Gampe, einem tollen Permakultur-Vordenker aus Mittelfranken, der Konzepte entwickelt hat sie man konventionelle Landwirtschaft mit Permakultur und mit dem Einsatz der Maschinen, die da sind umzusetzen. Zum Beispiel indem man Bäume pflanzt, Teiche anlegt usw. Die Erhöhung der Biodiversität führt dazu, dass bereits in wenigen Jahren der Ertragsausfall durch die scheinbar blockierten Flächen kompensiert und sogar übertroffen wird – bei deutlich niedrigerem Einsatz von Pestiziden und Pflanzenschutzmitteln.
Um das auch mal in Zahlen auszusprechen: Die Permakultur ist Anfang der 70er Jahre entwickelt worden, aus meiner wissenschaftlichen Analyse von alten Techniken, die kombiniert werden um zu schauen wie der Mensch positiv in die Kultur eingreifen kann und es gibt Permakultursysteme in Australien, die werfen pro Hektar 150 Tonnen Lebensmittel ab. Die niederbayerische Landwirtschaft ist ziemlich gut und schafft knapp 9,8 Tonnen Getreide auf einem Hektar. Wir können also nachhaltig, sogar regenerativ, ein Vielfaches an Lebensmitteln produzieren, wie das derzeit der Fall ist.
Lange können wir nicht unter den Bäumen mit Blick auf die Gemüsebeete die Seele baumeln lassen – Valentin muss sich wieder um seine Pflanzen kümmern und ich mache mich auf den Rückweg.
So viel verhindern wie möglich, so gut vorbereiten wie nötig
Ich verlasse den Hof mit vielen Eindrücken und einem Glas der wahrscheinlich besten Himbeermarmelade, die ich je gegessen habe (wirklich, ihr müsst sie probieren, um zu wissen, wovon ich spreche!). Schon auf der Fahrt holt die gnadenlose Realität mich jedoch ein. Diese ländliche Idylle mischt sich mit den Horrorszenarien der Klimakatastrophe. Es ist längst nach 12 und noch immer handelt die Politik nicht.
Neben einem Haufen unglaublich leckeren Essens nehme ich von dem Tag mit Valentin auf seiner „Local Farm“ vor allem das Bewusstsein mit, dass es längst nicht mehr nur darum geht, eine Klimakatastrophe zu verhindern. Wir müssen uns unausweichlich auf die Folgen dessen vorbereiten, was wir bereits angerichtet haben. Der Klimawandel findet statt und die damit drohenden, einschneidenden Veränderungen sind zum Teil bereits nicht mehr aufzuhalten. Eine unserer wichtigsten Aufgaben der nächsten Jahre und Jahrzehnte wird sein, uns regional wieder unabhängig mit Nahrungsmitteln versorgen zu können. Nicht nur um z. B. lange, klimaschädliche Transportwege zu vermeiden, Verpackung und CO2 zu sparen. Nicht „nur“ für’s Klima. Sondern WEGEN des Klimas.
Ihr möchtet euch selbst ein Bild davon machen, was auf der „Local Farm“ alles vor sich geht? Dann werft einen Blick auf die Homepage und die Instagram Seiteund wenn ihr auch mal etwas von den leckeren Nahrungsmitteln, die Valentin produziert, probieren wollt, dann kommt am besten einfach an einem Hoftag selbst vorbei!