LĂŒtzerath â gerĂ€umt aber noch nicht gefallen
Seit einigen Wochen ist LĂŒtzerath eines der Top-Themen in der deutschen Ăffentlichkeit. Aber was ist LĂŒtzerath eigentlich und warum wird darĂŒber gesprochen?

LĂŒtzerath ist ein Weiler der Stadt Erkelenz in der NĂ€he von Köln, welcher direkt an der Abbruchkante zu den Kohlegruben von RWE liegt. An dieser Stelle buddelt der Kohlekonzern, der als klimaschĂ€dlichste Firma Europas gilt, 400 Meter tiefe Löcher in den Boden, um an die darunter liegende Braunkohle zu gelangen. Auch LĂŒtzerath selbst sollte StĂŒck fĂŒr StĂŒck enteignet und zerstört werden, um weitere fossile EnergietrĂ€ger zu gewinnen. Vor einem Jahr schlieĂlich musste Eckardt Heukamp, der letzte Bewohner von LĂŒtzerath, sein Haus verlassen, weil RWE ihn verklagte.
Doch gegen die Zerstörung des Dorfes wehren sich seit einigen Jahren immer mehr Klimaaktivistâąinnen. Sie begannen vor zwei Jahren mit Mahnwachen und schlieĂlich mit einer permanenten Besetzung des Dorfes und dem Aufbau von BaumhĂ€usern und HĂŒtten. Anfang diesen Jahres begann die Polizei das Dorf systematisch und teilweise gewaltsam zu rĂ€umen. Sie drangen mitten in der Nacht ein, verwĂŒsteten die Strukturen der Besetzerâąinnen, unter anderem auch die GemeinschaftskĂŒche, hielten das Stresslevel hoch und verhinderten, dass Menschen im Dorf zu Schlaf kamen, indem sie permanent Krach machten.
Ich war letztes Wochenende selbst dort und habe an einer GroĂdemonstration gegen den Multi-Milliarden-Konzern teilgenommen.
Viel Hoffnung, noch mehr Menschen und immense Polizeigewalt
Es ist der 14.01.2023. Ich stehe in Keyenberg, einem Dorf am Arsch der Welt und warte. Es ist 8 Uhr morgens, einige hundert Menschen laufen durch die Gegend. Bis zum Beginn der Demo â der Startpunkt ist nur etwa 2 Kilometer vom Tagebau entfernt â dauert es noch vier Stunden. Die Organisatorâąinnen haben bewusst darum gebeten, schon einige Stunden zu frĂŒh anzureisen, um die Bahnverbindung nicht zu ĂŒberlasten. Erstaunlich finde ich vor allem die Tatsache, dass Menschen jeden Alters vertreten sind. Von jungen, offenkundig unter 18 JĂ€hrigen bis zu Rentnerâąinnen auf ihren Rollatoren ist alles vertreten.
Mitglieder des Orga-Teams rennen wie wild durch die Gegend, schleppen Pavillons und Kisten und bauen Lautsprecheranlagen auf. Die etwa drei Kilometer lange StraĂe, auf der Menschen sich versammeln sollen, ist noch vor elf Uhr â eine Stunden vor Beginn â zum Bersten gefĂŒllt. Gerechnet wurde mit 8000 Menschen. Es werden insgesamt 35.000 sein. Die Menschen fangen an auf groĂe NebenstraĂen und auf die Wiesen um die VersammlungsflĂ€che auszuweichen.
Alle, die schon einmal auf einer gröĂeren Demonstration gewesen sind, wissen, wie DemozĂŒge so sind. Mehr als zwei Stunden ziehen die Menschen zu tausenden durch die kleine Ortschaft Keyenberg und strömen schon bald auf die groĂe VersammlungsflĂ€che am Tagebau. In Keyenberg finden wir groĂe UnterstĂŒtzung der Anwohnerâąinnen vor. Sie lassen Aktivistâąinnen bei sich auf die Toilette gehen, hĂ€ngen Banner und Schilder aus ihren Fenstern. Es sind so viele Menschen, die ĂŒber die Wiesen strömen, dass diese sich bald zu knietiefen Schlammbecken entwickeln. Das hĂ€lt die Leute, die sich auf den strömenden Regen, der an diesem Tag fĂ€llt, eingestellt haben, jedoch nicht auf. Im Laufe der Zeit kommt man immer wieder ins GesprĂ€ch mit anderen Teilnehmerâąinnen. Man bietet sich Snacks, Tee und Strom per Powerbank an und ruft gemeinsam DemosprĂŒche.
Angekommen an der Demo-BĂŒhne sprechen verschiedene Aktivistâąinnen ĂŒber RWE, LĂŒtzerath und die Klimakrise.
Klar ist: Studien belegen, dass die Kohle unter LĂŒtzerath nicht gebraucht wird, um die Energiesicherheit zu gewĂ€hrleisten. AuĂerdem halten viele die Zerstörung des Dorfes fĂŒr Verfassungswidrig, weil die Kohle â abermals Studien zufolge â dafĂŒr sorgt, dass Deutschland das 1,5 Grad Ziel verfehlen wird. Dieses ist allerdings verfassungsrechtlich geschĂŒtzt: 2021 hatte das Bundesverfassungsgericht nach einer Klage von verschiedenen Akteurâąinnen â unter anderem von Fridays For Future â das Klimagesetz der GroĂen Koalition aus SPD und CDU/CSU fĂŒr verfassungswidrig erklĂ€rt. Auch die nĂ€chsten Generationen haben ein Grundrecht auf einen intakten Planeten, so das Urteil. Das bestĂ€tigt: Klimaschutz ist ein elementares und in der Verfassung geschĂŒtztes Grundrecht.
WĂ€hrend ich an der HauptbĂŒhne stehe und den diversen Aktivistâąinnen, zum Teil auch aus dem globalen SĂŒden, zuhöre, stĂŒrmen tausende Menschen direkt zu der Polizeiblockade um LĂŒtzerath. Ihr erklĂ€rtes Ziel ist es, die Protestierenden im Dorf zu unterstĂŒtzen und wenn möglich einzudringen. Die Polizei, die an diesem Tag mit knapp 1500 EinsatzkrĂ€ften vertreten ist, reagiert unprofessionell und gewaltsam. Immer wieder stĂŒrmen Reihen der Polizei auf Aktivist*innen zu, um diese mit Schlagstöcken und Pfefferspray zu vertreiben. Auch Wasserwerfen â bei knapp 5 Grad Celsius eigentlich Körperverletzung â werden eingesetzt.
SpĂ€ter lese ich von Aktivistâąinnen, die ich teils persönlich kenne, die verletzt wurden. Die Spanne der Verletzungen reicht hierbei von Prellungen ĂŒber Platzwunden, bis zu GehirnerschĂŒtterungen und schwereren. Menschen werden mit teils lebensbedrohlichen Verletzungen ins Krankenhaus gebracht. Reul, der Innenminister Nordrhein-Westfalens, wird dieses aggressive Vorgehen in den folgenden Tagen noch als professionell und vermittelnd bezeichnen. Ich bin allen Aktivistâąinnen dankbar fĂŒr ihr Engagement- Ihnen und ihren Geschichten gilt es zuzuhören und die Ereignisse und die immense Polizeigewalt lĂŒckenlos aufzuarbeiten.
Aufgeben ist keine Option
Ich durfte mit vielen Menschen sprechen. Mit 90 JĂ€hrigen, die seit ihrer Rente auf Demonstrationen gehen, um ihre klimaschĂ€dliche Vergangenheit wieder gut zu machen. Mit MĂŒttern, die Sorge um ihre Kinder und Enkel haben. Mit KĂŒnstlerâąinnen wie Sebastian âMondschaft23â, die seit Monaten ihre Reichweite nutzen, um auf Ungerechtigkeit seitens RWE und der Polizei hinzuweisen.
LĂŒtzerath als Dorf ist nicht mehr zu retten. DafĂŒr ist die Zerstörung leider bereits zu weit fortgeschritten. Doch noch ist kein Gramm Kohle abgegraben und das Pariser Klimaabkommen weiterhin zu erreichen. Die GrĂŒnen unter Robert Habeck und Mona Neubaur können RWE immer noch aufhalten und zu ihren Wahlversprechen stehen.
NatĂŒrlich mĂŒssen wir weiterarbeiten, demonstrieren und kĂ€mpfen. Und wir mĂŒssen uns als Gesellschaft die Frage stellen, ob wir weiterhin zulassen, dass die kurzfristigen Profitinteressen von Konzernen wichtiger sind, als eine lebenswerte Zukunft fĂŒr unsere Kinder und Kindeskinder und noch wichtiger: der Menschen im globalen SĂŒden, die schon heute jeden Tag unter dem immensen Kohlenstoffdioxid AusstoĂ Deutschlands und der G7 leiden. LĂŒtzerath ist ein fatales Zeichen an andere Staaten, die versuchen, ihre Klimabilanz mit 1,5 Grad zu vereinbaren. Es zeigt, dass fossile Konzerne im Zweifel auch vom Staat geschĂŒtzt und verteidigt werden und ermutigt zu immer neuen Investitionen in klimaschĂ€dliche Bereiche.
LĂŒtzerath ist gerĂ€umt. Doch die Hoffnung ist noch nicht vorbei.
Dies ist ein Gastbeitrag von Luca Barakat