Mit Nazis spricht man nicht – oder doch? Ein Feldversuch
Kann man mit einem Gespräch Menschen davon überzeugen, keine rechtsextreme Partei zu wählen? Sabrina Teifel hat es vor einigen Jahren probiert und berichtet von ihrer Erkenntnis.
Bayern im Sommer 2018. Der Landtagswahlkampf läuft auf Hochtouren. Ich selbst trete an als Direktkandidatin im Landkreis Traunstein für eine kleine, links-grüne Splitterpartei. Die letzten Dekaden war die CSU hier im ländlichen Südost-Bayern die einzig relevante Partei, doch inzwischen gerät diese Konstante ins Wanken. Auch hier haben sich die neofaschistischen Parolen ihren Weg vom örtlichen Stammtisch in die politische Landschaft gebahnt und prangen nun hoch über unseren Köpfen auf den Wahlplakaten der AfD.
An die klare Anweisung der Parteispitze, an Diskussionsrunden und Auftritten, zu denen auch die Kandidaten der AfD eingeladen sind, nicht teilzunehmen, halte ich mich zwar, bin jedoch nicht von der Richtigkeit dieser Entscheidung überzeugt. Zu gerne würde ich den Kandidaten der AfD inhaltlich bloßgestellt sehen. Oder wenigstens den Kreisvorsitzenden der AfD und Kandidat für die Europawahl einmal in aller Öffentlichkeit darauf hinweisen, dass es mehr als befremdlich ist, wenn er als Gynäkologe Frauen, die in der Flüchtlingshilfe tätig sind, auf Facebook Vergewaltigungen wünscht. Oder den Direktkandidaten Markus Plenk, der später in den Landtag einziehen wird, fragen, wie er dazu steht, dass seine Anhänger politisch andersdenkende Frauen in „seinem“ Landkreis offen bedrohen. (Letzteres habe ich gegen Ende des Wahlkampfes tatsächlich getan, per E-Mail – eine Antwort habe ich natürlich nie erhalten. Nachdem M. Plenk im Frühjahr 2019 die Partei verließ und sie öffentlich als rechtsextrem bezeichnete, wurde er selbst Opfer von Bedrohungen aus dem rechtsradikalen Umfeld der AfD.)
Straßenwahlkampf
Ich bin auf dem Weg zu einem Radio-Interview, als mir an einer Tankstelle eine mit Taschen und Tüten bepackte Frau im mittleren Alter begegnet, die mich, nachdem ich ihr mein Ziel genannt habe, bittet, sie mitzunehmen. Während der Fahrt, die eine knappe Stunde dauern wird, kommen wir ins Gespräch und schnell wird es politisch. Der Frau geht es nicht gut. Sie ist krank, kann nicht mehr arbeiten, das Geld reicht hinten und vorne nicht, auf dem Land ist man in solchen Situationen völlig abgehängt und ohne Familie auf sich allein gestellt. Für sie ist klar: Sie wird die AfD wählen. Denn die werden dafür sorgen, dass es Menschen wie ihr wieder besser geht.
Damit hatte ich nicht gerechnet. Für einen Moment fühle ich mich unwohl, aber da wir jetzt nun mal in dieser Situation sind, gemeinsam in meinem Auto zu sitzen und noch ca. 40 Minuten Fahrt vor uns liegen, atme ich tief durch und frage nach. Schließlich ist das eine wahrscheinlich einmalige Gelegenheit, in einem ruhigen Gespräch herauszufinden, wie wir diese Menschen aufklären und wieder zurückholen können. Und auch, wenn viele das nicht hören werden wollen: Diese Frau hatte absolut keinen Schimmer, was für einer Partei sie da ihre Stimme geben wollte und dass diese abgesehen von sämtlichen rechtsradikalen Positionen gerade Menschen in ihrer Lage keinerlei Hilfen bieten, sondern im Gegenteil ihre Situation eher noch verschlimmern wird. „Ja meinen Sie wirklich?“, fragt sie mich, als ich mit meinen Ausführungen fertig bin. Nein. Ich meine nicht. Ich habe das Parteiprogramm gelesen. Das hier ist kein Wahlkampfgespräch, ich empfehle ihr keine Partei, auch nicht meine eigene. Alles, was ich ihr mit auf den Weg geben kann, ist, sich unbedingt das Programm genau durchzulesen und erklären zu lassen und nicht nur auf die Parolen zu hören, die AfD Politiker*innen von der Bühne plärren.
Ob dieses Gespräch etwas bewirkt hat, werde ich nie erfahren. Aber es macht Hoffnung, dass offenbar mit den aus Verzweiflung in diese Richtung abgebogenen Bürger·innen ein Dialog möglich ist.
Hass ist krass, Liebe ist krasser – stimmt‘s?
Kurze Zeit später stehe ich mit einigen Parteikolleg·innen mit einem Infostand am Traunsteiner Stadtplatz. Auch hier sprechen wir mit vielen unterschiedlichen Menschen, doch der Ton ist teilweise deutlich rauer. Vor allem die Männer sind alles andere als gesprächsbereit. Als mich schließlich ein Mann im Rentenalter wüst beschimpft und vor mir auf den Boden spuckt, greifen umstehende Passanten ein und ich bleibe fassungslos zurück. Im weiteren Verlauf des Wahlkampfes eskaliert die Stimmung immer weiter, und zwar – und das möchte ich hier in aller Deutlichkeit sagen – nur von einer Seite. Die Bedrohungen, die online stattfinden, schwappen ins reale Leben, ins Privatleben über, denn gerade in der ländlichen Region kennt man sich. Man kennt die Leute, die einen bedrohen. Es ist der Kneipenwirt von gegenüber, der Skisport-Trainer des Sohnes, der Arzt, der einen behandelt hat. Vermehrt treten nun auch zerstochene Reifen bei Menschen auf, die dem links-grünen Spektrum zuzuordnen sind, die Polizei ermittelt – ohne Erfolg. Der vorläufige, traurige Höhepunkt der Eskalation ist ein Übergriff auf ein Mitglied der Linken auf dem Heimweg von einer Großdemo in München.
Um all diese erschreckenden Entwicklungen nicht unkommentiert stehen zu lassen, meldete ich gemeinsam mit der Bezirksratskandidatin Martina Wenta unter dem Titel „Hass ist krass – Liebe ist krasser“ eine Demo gegen Rechts und gegen die AfD an, die zeitgleich eine Kundgebung auf dem Stadtplatz angemeldet hatte. Kurz vor den Veranstaltungen sagte die AfD ihre Veranstaltung ab. Wir hingegen konnten uns über rund 400 Teilnehmer·innen und eine bunte, laute Demo mit Kevin Kühnert und Katja Kipping auf der Rednerbühne freuen. Im Vergleich zu den Zahlen von aktuellen Demos (in Traunstein waren es kürzlich rund 3000 Teilnehmer·innen) mag sich das verschwindend gering anhören, damals war das eine stolze Menge!
Am Ende dieses Wahlkampfes im Jahr 2018 wird Bayern mit der Koalition aus der CSU und den Freien Wählern die bundesweit rechteste Landesregierung gewählt haben. Aktuell bestreitet diese ihre zweite Legislaturperiode.
Und dann war da noch dieser eine Nazi auf Facebook…
…damals schätzungsweise Mitte 20, mit Profilbild und Klarnamen, aus dem Nachbarort, der auch nach dem Wahlkampf immer wieder in meinen Kommentarspalten auftauchte – und schließlich auch in meinem Posteingang. Nein, nicht mit erneuten Beleidigungen oder dergleichen, sondern mit dem Vorschlag, sich zu treffen. Ich solle mich selbst davon überzeugen, dass er kein Unmensch sei. Entgegen allen Warnungen stimme ich einem Treffen zu – ich will einfach für mich selbst herausfinden, wie so jemand tickt, ob ich ihn irgendwie erreichen kann, auf zwischenmenschlicher, persönlicher Ebene, im echten Leben.
Ich bestimme den Ort, bin deutlich früher als vereinbart am Treffpunkt und kann so amüsiert beobachten, wie er sich auf dem Weg von seinem Auto auf die Terrasse des Lokals, in dem wir verabredet sind, immer wieder nervös umsieht. Er hatte wohl (wie auch ich) Sorge, dass sein Gegenüber nicht allein kommen wird.
Wir setzen uns an einen Tisch in einer Ecke der Terrasse und nachdem X sich über die Tatsache, dass ein ausländischer Kellner uns die Getränke serviert, beruhigt hat, beginnen wir uns zu unterhalten. Er erzählt mir, er sei „Kriegsveteran“, denn er habe einige Monate im Kosovo verbracht, um beim Wiederaufbau zu helfen. Die Einheimischen dort seien in seinen Augen faul und unfähig gewesen, was für ihn lediglich eine Bestätigung sei, dass die Deutschen die einzig übermächtige Rasse seien. Je mehr ich höre, desto fassungsloser werde ich. Erst im Laufe des Gesprächs bemerke ich seine auffällige Tätowierung am Oberarm – das Zeichen der Identitären Bewegung.
Dann will ich es wissen: “Jetzt haben wir uns persönlich kennengelernt und uns gegenseitig voneinander erzählt – was genau ist jetzt dein Problem mit mir?“ Er lehnt sich, die Arme hinter dem Kopf verschränkend und breit grinsend, zurück und antwortet: „Leute wie du gehören einfach weg!“ Ich schaue ihm in die Augen und frage: „Was meinst du mit ‚weg‘? Erschießen, oder was?“ Er zuckt mit den Schultern: „Zum Beispiel.“ Mir bleibt die Spucke weg.
Spricht man jetzt mit Nazis, oder nicht?
Nein, mit Nazis spricht man definitiv nicht. Mehr muss ich dazu an dieser Stelle nicht sagen, das geschilderte Beispiel spricht für sich.
Aber mit den Teilen der Gesellschaft, die die AfD (noch) unterstützen, weil sie sie wirklich für eine Alternative halten, mit denen werden wir langfristig sprechen müssen, wenn wir das Problem Rechtsruck nachhaltig lösen wollen – so zuwider uns das im ersten Moment sein mag. Wir werden uns außerdem, zumindest teilweise, von der elitären Denkweise verabschieden müssen, dass wirklich alle Menschen Bescheid wüssten und nachvollziehen, einordnen und die Konsequenzen dessen abschätzen können, was die AfD so von sich gibt. Denn seien wir mal ehrlich: Könnten diese Menschen das, würden sie die AfD niemals wählen, den meisten von ihnen ginge es gravierend schlechter, bekäme die AfD Gelegenheit, ihre Ideen umzusetzen.
Für viele Probleme wird es mittel– und langfristig natürlich politische Lösungen brauchen, um diese Menschen wieder in die Mitte der Gesellschaft zurückzuholen, was wir als Gesellschaft aber tun sollten, ist weiterhin zu signalisieren, dass wir Aussteiger mit offenen Armen wieder in dieser Mitte aufnehmen werden. Wenn uns das gelingt, kann unsere Gesellschaft und unsere Demokratie mit den wenigen, die tatsächlich nicht mehr erreichbar sind, leben.