Vom Gerechtigkeitssinn und Schmerz einer Mutter
Sie wurde ausgeliefert, eingesperrt und ermordet: Die ausführliche Geschichte der NS-Gefangenschaft der Kommunistin Olga Benario Prestes liegt nun erstmals in deutscher Sprache vor.
Die deutsche Kommunistin Olga Benario Prestes war im siebten Monat schwanger, als sie in Brasilien mit Gewalt auf das Frachtschiff La Coruña gebracht wurde, um Nazi-Deutschland ausgeliefert zu werden. Ziemlich schnell wurde klar, dass ihr Schicksal damit besiegelt war. Doch was sollte aus ihrer noch ungeborenen Tochter geschehen?
Die Historikerin Anita Leocádia Prestes hat sich der Geschichte ihrer Mutter und somit ihrer eigenen Vergangenheit in einer biographischen Annäherung gewidmet, die 2017 auf portugiesisch erschien und nun erstmals in deutscher Sprache vorliegt.
Keine Biographie
Wer jedoch eine ausführliche Biographie Benarios erwartet, wird enttäuscht. “Die beste Biographie über Olga wurde von Fernando Morais geschrieben”, sagt die Autorin im angehängten Interview selbst. Insofern ist der Untertitel ihres Buch “eine biografische Annäherung” mehr als korrekt.
Vielmehr ist das von Anita Leocádia Prestes vorgelegte Werk als Ergänzungsstück zu sehen, das zwischen Morais’ Biographie und der Briefsammlung „Die Unbeugsamen“ passt. Das fehlende Puzzleteil in der Darstellung Benarios Leben stellen die bisher noch nicht verarbeiteten Gestapo-Dokumente dar, die die Autorin ausführlich zitiert. Sie bestätigen den Eindruck, den die weiblichen Mithäftlinge über Benario hatten: Eine mutige und solidarische Frau, die von ihrem Glauben an eine bessere, gerechtere Welt nicht abzubringen war.
Gleichzeitig sind die Dokumente Zeugnis der menschenverachtenden Kälte der nationalsozialistischen Bürokratie. Die Frage, ab wann man Benario ihre Tochter im Frauengefängnis Barnimstraße wegnehmen könnte, wurde ausführlich besprochen. So informierte der Gefängnisdirektor die Gestapo:
„Olga Benario wusste sehr wohl, dass sie das Kind, das inzwischen fast 14 Monate alt geworden war, bald würde herausgeben müssen. Es bestand jedoch auch sonst kein hinreichender Grund, ihr den Tag und die Stunde der Abholung des Kindes besonders zeitig mitzuteilen.“
Der Grund: Man befürchtete, dass die in den Augen der Nationalsozialist·innen „fanatische Kommunistin“ Benario Kassiber (eine geheime schriftliche Mitteilung aus dem Gefängnis an die Außenwelt) über die Kleider ihres Kindes schmuggeln könnte. Es war auch nur einer internationalen Kampagne zu verdanken, dass ihre Tochter Anita von der eigenen Familie adoptiert werden konnte.
Wichtige Quellen gegen das Vergessen
Die Einschätzungen der Gestapo aus Primärquellen lesen zu können ist viel wert. Zum einen lässt sich so ein genaueres Bild von Benario konstruieren und zum anderen wird die aussichtslose Lage der Kommunistin deutlicher.
Ihre Ehe mit dem brasilianischen Kommunisten Luís Carlos Prestes wurde in Frage gestellt, da dies die brasilianische Staatsbürgerschaft Benarios bewiesen hätte. Eine mögliche Ausreise wurde ihr in Aussicht gestellt, wenn sie bei den zahlreichen Verhören sprechen würde. Sie blieb standhaft und beschwerte sich sogar in einem mutigen Brief beim damaligen Chef der Sicherheitspolizei, Reinhard Heydrich.
Die internationalen Kampagnen konnten die Freilassung Benarios nicht erreichen. Nachdem ihr ihre Tochter Anita weggenommen wurde, wurde sie zuerst ins Frauenkonzentrationslager Lichtenburg verlegt, um anschließend bis zu ihrem Tod im Jahr 1942 im KZ Ravensbrück eingesperrt zu sein. Als jüdische Kommunistin, die sich ihrem Schicksal nicht wehrlos ergeben wollte, war ihr Standing in dem Konzentrationslager äußerst schlecht. Schließlich wurde Benario im Todestrakt der „Heil- und Pflegeanstalt“ Bernburg vergast. Das genaue Datum ist nicht bekannt.
Anita Leocádia Prestes erzählt die Geschichte ihrer Mutter in einem beeindruckend sachlichen Ton, der das Buch ausgesprochen lesenswert macht. Leider ist es etwas kurz geraten und zielt vor allem auf die Haftzeit Benarios ab. Ohne Anhang zählt es nur 75 Seiten, mit ausgewählten Briefen und dem eindrucksvollen Interview mit der Autorin kommt es auf 114 Seiten. Demnach kann es lediglich als Ergänzungs- oder Einführungsbuch in das Leben Benarios gelten.
Der Verbrecher Verlag stellte freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung.
Olga Benario Prestes. Eine biographische Annäherung
Anita Leocádia Prestes
Verbrecher Verlag, 114 Seiten
16,00 Euro