„Wir Untoten des Kapitals“ – die Zombifizierung ganz ohne Virus
Die politische Linke muss sich den globalen Herausforderungen stellen. Aber wie? Raul Zelik liefert wichtige Analysen und Ansätze in seinem aktuellen Buch.
Als das Werk im April 2020 längst fertig im Lektorat lag, verfasste Raul Zelik das Vorwort – während dem Beginn der Pandemie also, deren Ausbruch beim Schreiben des Buches noch nicht zu erahnen war.
Schon damals erkannte der Autor: Durch die neue globale Situation stellen sich die Fragen, denen er in seinen Ausführungen auf den Grund geht, noch intensiver, noch dringlicher als je zuvor. Die Pandemie könnte der Scheideweg sein und sie sollte als Chance genutzt werden, wirklich etwas zu verändern – jetzt wo schon einmal alles stillgelegt ist.
Woher kommen all die Zombies?
Im ersten Kapitel greift Raul Zelik Analogien aus Zombie-Filmen auf, und überträgt diese auf die heutige Gesellschaft. Möglicherweise hat ja tatsächlich schon lange vor der Pandemie eine flächendeckende Zombifizierung stattgefunden und das ganz ohne geimpfte Mikrochips. Der richtungsweisende Faktor bei der Entscheidungsfindung sowohl in Politik und Wirtschaft, aber auch privat, ist weltweit der gleiche: Geld. Längst sind wir wohl zu Kapitalzombies, zu Untoten des Kapitals geworden. Die Politik richtet sich ohnehin seit Jahrzehnten nach den Bedürfnissen des Kapitals, effektive Sozialpolitik findet so quasi nicht mehr statt.
An dieser Stelle kommt wie zu erwarten auch die – durchaus berechtigte – Kritik am Neoliberalismus nicht zu kurz. Trotz der häufigen Verwendung des Begriffs „Klassenkampf“ (welchen der Autor auch global betrachtet) erscheint diese Kritik keineswegs klischeehaft sondern politikwissenschaftlich fundiert und durchdacht. Schließlich gilt es zu untermauern, weshalb eine Politik, die sich an den Bedürfnissen der Menschen und der Umwelt statt an denen des Kapitals orientiert, eine bessere Zukunft für alle bietet.
Nach der fulminanten Einleitung, an deren Ende auch nach dem Verbleib der linken Politik gesucht wird, folgt der endgültige Bogen zum Thema und dessen Ausführung. In diesem Buch soll laut Autor vor allem auch noch über einen anderen Zombie gesprochen werden – über den Sozialismus.
Sozialismus soll im Buch verstanden werden als Umbruch in drei entscheidenden Kategorien: Gemeineigentum, echte Demokratie und die gesellschaftliche Gestaltung der Wirtschaft. Auf die einzelnen politischen Bereiche, die aktuellen Problematiken und deren Bedeutung aus linker Perspektive geht der Autor im letzten Kapitel der Einführung „Was ist links“ detailliert ein. Außerdem formuliert er bereits Ansätze für mögliche, zukünftige Gestaltungswege von Links.
Sozialismus – aber bitte grün
In den nächsten Abschnitten geht es neben der Erläuterung und Klärung verschiedener Begrifflichkeiten vor allem darum, dass ein neuer Sozialismus unbedingt auch grün und umgekehrt das neue Grün auch links sein muss. Die Erarbeitung einer „Politik des guten Lebens“ für alle steht zu jeder Zeit im Mittelpunkt. Im gesamten müssen politische Entscheidungen weg vom Einfluss der Unternehmen und des Kapitals, hin zur Problemlösung und zum Allgemeinwohl.
Häufig spricht Raul Zelik in diesem Zusammenhang von Re-demokratisierung und meint damit eine konsequente Abkehr vom Lobbyismus. Anhand vieler Beispiele beschreibt er, wie eine Gesamtlösung aussehen könnte und vor allem warum sich das alles auch nur als Gesamtes lösen lässt – weil alle Bereiche zusammenhängen und sich unweigerlich gegenseitig beeinflussen.
Zelik beschreibt seine Erkenntnisse und Schlussfolgerungen ausführlich und betrachtet die Situationen stets aus unterschiedlichen Perspektiven. Er bezieht die Vergangenheit mit ein, führt diese in die Gegenwart und findet Wege in die Zukunft. Dabei hat er seinen Blick immer mindestens europaweit, meistens weltweit gerichtet und schafft es so seinen Leser·innen einen Überblick über die Zusammenhänge zu vermitteln.
Mit der Beleuchtung weltweiter linkspolitischer Entwicklungen der letzten Jahrzehnte und seinen ausführlichen Erklärungen zum Scheitern vermeintlich sozialistischer Revolutionen an den Beispielen Jugoslawien, China, Russland und auch Venezuela leistet er zudem notwendige historische Reflexion.
Unter den aktuellen Umständen könnte selbst eine linke Regierung keine linke Politik umsetzen, die sich am Allgemeinwohl orientiert, denn unvermeidlich würde man in Konflikte mit dem Markt geraten. Linke Politik muss zwangsläufig bestehende Machtstrukturen herausfordern und wirkt somit zunächst immer provokant.
Biologie lässt sich nicht politisieren
Bei realistischer Betrachtung sollte jedem klar werden, dass das Ende des Kapitalismus nicht deshalb früher oder später unausweichlich kommen wird, weil die Linken es so wollen. Das Ende der Fahnenstange des Kapitalismus wird schon alleine deshalb erreicht werden, weil der Planet auf diese Weise nicht mehr allzu lange mitmachen wird – Wachstum ist endlich. Hier geht der Schreiber auf naturwissenschaftliche, biologische Faktoren ein, die sich nicht mehr politisch wegdiskutieren lassen werden.
Auch werden Technologien nicht immer die benötigte Lösung bieten und so wird letztlich kein Weg daran vorbei führen über die Umgestaltung der Lebensweise und des Marktes zu sprechen. Wie bereits in anderen Büchern der letzten Zeitwird auch hier vom Autor auf die so wichtigen, bereits stattfindenden Veränderungen völlig abseits von Staat und Markt, beispielsweise durch die unterschiedlichsten Initiativen, eingegangen und überlegt, wie man diese im großen Stil umsetzen könnte.
Abschließend schreibt Raul Zelik über die sozialen Faktoren und deren Rolle. Dabei geht es keineswegs um abstrakte Konstrukte, sondern ebenfalls um ganz handfeste, neurowissenschaftlich beleuchtete, biologische Faktoren, welche aber dennoch beeinflussbar sind, weil wir uns dieser bewusst werden können. Wir sind ihnen also nicht wie beispielsweise den Umweltfaktoren mehr oder weniger machtlos ausgeliefert. Die sozialen Faktoren haben einen maßgeblichen Einfluss auf unsere Lebensqualität, unsere Stresslevel und damit auch auf unsere Gesundheit. Entwickeln sich diese Bereiche für den Einzelnen mehr und mehr negativ, wirkt sich das langfristig negativ auf die gesamte Gesellschaft – und sogar die Wirtschaft – aus.
Fundierte Wissenschaft und inspirierende Aufbruchstimmung
Ein lesenswertes Werk, in dem der Autor immer wieder Parallelen aus der Film- oder Comicwelt in unsere Realität zieht, ohne dabei nur stumpfe, dystopische Metaphern zu kreieren. Viel mehr findet er die tatsächlich vergleichbaren Dinge und bringt damit wichtige, aus psychologischer Sicht betrachtete Aspekte auf den Tisch. Auch historische Ereignisse und Entwicklungen werden von Zelik psychologisch analysiert, was meiner Meinung nach für eine tatsächliche Aufarbeitung und eine freie Weiterentwicklung unumgänglich ist – nicht nur, aber gerade auch in Deutschland.
Neben dem politikwissenschaftlichen Fokus werden die Themenbereiche auch immer mit den jeweiligen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und Studien untermauert, was mir persönlich sehr gut gefällt, denn wie der Autor schreibt: „Das bedeutet im Umkehrschluss, dass sich eine linke ‚Nachhaltigkeitsrevolution‘ nicht auf esoterische Diskurse, sondern auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse stützen muss.“
Raul Zelik schafft es mit seinem unterhaltsamen Schreibstil selbst ein mit so viel fachlicher Kompetenz gespicktes Buch für die Leser·innen kurzweilig zu gestalten. Hin und wieder braucht es zu all den Fakten eben auch einen leidenschaftlichen Redner, um die Menschen für eine Sache zu begeistern und hier trifft der Autor für meinen Geschmack genau den richtigen Ton.
Eine empfehlenswerte Lektüre sowohl um neue Facetten zur Kommunikation in der Debatte zur Thematik zu entdecken als auch für alle, die einen schwungvollen Einstieg in diese suchen.
Wir Untoten des Kapitals. Über politische Monster und einen grünen Sozialismus
Raul Zelik
Suhrkamp, 328 Seiten
18,00 Euro