Islamismus - das Problem im Inland
Sabrina Teifel im Gespräch mit dem kurdischen Künstler Inan Ercik über die Bedrohung in der Diaspora und warum geschlossene Grenzen keine Lösung sind.
Zu den extremistischen Ideologien, die aktuell weltweit in Gewalt und Terror münden, gehört auch der Islamismus. Spätestens seit dem grausamen Angriff der islamistischen Terrororganisation Hamas auf den Kibbuz Be‘eri vor über einem Jahr ist diese Gefahr wieder ähnlich präsent wie nach den Anschlägen 2001 in den USA. Und es gab seitdem tatsächlich neben mehreren Bedrohungslagen in Europa auch einen Anschlag in Deutschland - auf dem Stadtfest in Solingen, bei dem der Täter drei Menschen tötete und acht weitere schwer Verletzte.
Wie ergeht es Menschen, die hierher geflohen sind, vor eben dieser Gefahr und wie sehen sie die Maßnahmen, die die Politik im Kampf gegen islamistischen Terror ergreift?
Darüber hat Sabrina mit dem kurdischen Künstler und Aktivisten Inan Ercik in München gesprochen.
Ich bin Inan, ein Künstler aus München, der in München geboren ist. Ich bin im Bereich Musik und Graffitiaktiv, politisch teilweise aktiv. Und ich hatte auch in meiner Kindheit vier Jahre, in denen ich in Kurdistan gelebt habe, also ich habe beide Seiten gesehen.
Und das, was ich mache, ist eigentlich hauptsächlich politische Kunst, ob das Musik ist oder ob das ein Graffiti ist. Teilweise auch sehr stark feministische Kunst.
Jetzt ist unser Thema heute ja der Islam und Islamismus. Was habt ihr als Kurdinnen in eurem Land für Erfahrungen bzw. für Probleme erlebt mit dem Islam oder dem Islamismus?
Ich spreche mal aus Erfahrung. Erstmal das, was ich persönlich erfahren habe, in der Zeit, wo ich in Kurdistan oder in der Türkei war, in Istanbul, das letzte Jahr das ich dort verbracht habe, sind wir damit so aufgewachsen, dass uns immer gesagt wurde, sag nicht, was ihr seid, versteckt es, verheimlicht es.
Viele Massaker wurden erlebt - 1993 in Sivas, 1978, in dem Jahr, in dem ich geboren wurde in Marash, wo sehr viele kurdische Aleviten massakriert wurden. Also die Religion war eigentlich immer so etwas Verstecktes, womit wir uns verstecken mussten. Ich kann mich erinnern, dass meine Tanten, wenn sie rausgegangen sind, Kopftücher getragen haben, um einfach muslimisch auszusehen. Und wenn sie nach Hause gekommen sind, sofort die Kopftücher weggeschmissen haben. Und man musste halt irgendwie eine leichte Fassade halten, aber gleichzeitig aufpassen und versteckt halten, das was man ist eigentlich ist. Weil es immer eine reale Gefahr gab.
Wie betrifft euch oder auch dich persönlich das in der Diaspora, also auch hier in Deutschland?
Als ich mit neun Jahren nach Deutschland zurückgekommen bin, habe ich sehr stark gesehen, dass auch diese Community hier existiert und dass ich dann von meiner Mutter zu hören bekommen hab: Sag auch hier nicht was, was du bist, halte das erstmal geheim! Ob das jetzt deine Religion oder deine Herkunft, deine kurdische Identität ist. Damit man einfach keine Probleme bekommt. Das war so die Haltung. Als Kind war das einfach normal, weil man so damit aufwächst. Aber es kommt halt die Phase, wo du Sachen hinterfragst. Warum ist das so? Was sind wir eigentlich? Warum müssen wir das Geheimhalten? Und was steckt dahinter eigentlich? Und warum diese Massaker? Warum werden wir verfolgt?
Und da hat sich das bei mir eigentlich noch mehr vertieft, was Faschismus, Islamismus angeht, mich damit halt mehr zu beschäftigen. Und was mich persönlich angeht, ist es so, dass ich heute noch Drohungen bekomme, dass wenn ich eine Veröffentlichung habe, ich Nachrichten auf YouTube bekommen habe, dass ich Frankfurt meiden soll, dass mein Kopf geschnitten wird. Oder Todesdrohungen wie „Ich bin von der MiT, vom türkischen Staat…“, weißt du, ich mein Geheimdienst und so. „Du solltest aufpassen, deine Seiten löschen, alles!“ Man wird schon bedroht, also es ist schon heikel, wenn man es kritisiert oder irgendwie irgendwas dagegen sagt, auch als Opfer.
Gibt es aus deiner Sicht einen Unterschied zwischen dem politischen Islam, Islamismus und ganz einfachen gläubigen Moslems, so wie wir sie alle auch in unserer Nachbarschaft haben? Was sagen deine Erfahrungen, die du vielleicht in der Türkei schon gemacht hast, in Kurdistan gemacht hast? Oder die vielleicht auch die Menschen in der Diaspora hier heute immer noch an Erfahrungen machen mit genau diesem Thema?
Was das betrifft, ist glaube ich am besten das, was man gesehen hat, was die Welt gesehen hat, was den kurdischen Jesiden in Irak passiert ist, in Shingal. Ich brauche nicht irgendwie fantasieren oder irgendwelche Meinungen sagen. Wir sollten einfach über das sprechen, was passiert ist. Wie die Berichte dann waren. Dass dann arabische Nachbarn, mit denen man 20 Jahre gelebt hat, sich plötzlich der IS angeschlossen haben und angefangen haben, ihre Nachbarn zu massakrieren. Wenn diese Vorfälle passieren und das in unserer Realität passiert, ist es schwierig, gewisse Sachen auseinander zu halten. Also wenn der normale Moslem in einem Freitagsgebet so angestachelt werden kann, dass er einMassenmassaker begeht, ist das ein Problem. Das ist eine gefährliche Waffe, die man dann hat, die man gegen gewisse Gruppierungen oder Volksgruppen oder ethnische Minderheiten oder religiöse Gruppen anwenden kann. Und das passiert ja auch in der Realität. Das können wir beobachten. Und das hat man in Shingal beobachtet. Das hat man auf der syrischen Seite beobachtet. Und wir haben immer noch 3.000 vermisste kurdische Frauen, die immer noch aktiv gesucht werden. Die in arabischen Ländern versklavt sind.
Wir haben 10.000 IS Gefangene in Rojava, mit denen die Weltgemeinschaft die Kurden im Stich lässt, die eine Gefahr für das gesamte Gebiet sind. Und wie gesagt, so gewisse Sachen auseinanderzuhalten, wird dann auch schwierig, wenn gewisse Proteste aus der islamischen Welt nicht kommen. Oder aus der islamischen Bevölkerung. Also ich hab Proteste von der islamischen Welt vermisst, als der IS im Namen des Islams diese Massaker durchgeführt hat. Also ich hätte gerade von der islamischen Welt den Aufschrei erwartet, wie kann es sein, dass ihr den Islam benutzt und solche Gräueltaten an Menschen verübt?
Jetzt haben wir uns hier in Deutschland im politisch linken Spektrum, also irgendwie alles, was sich links der CDU verortet, so ein bisschen in die Situation gebracht, dass wir es uns sehr schwer machen, uns „islamkritisch“ zu äußern. Weil dann einfach ganz schnell zum einen die Rassismusfalle, zum anderen auch die Islamophobiefalle zuschnappt und die Diskussion dann im Grunde zu Ende ist und in eine völlig andere Richtung läuft. Wie kommen wir da wieder raus? Wie können wir dieses Thema ansprechen, ohne uns zum Schweigen zu bringen?
Also der gesamte Blick dazu ist meiner Meinung nach einfach falsch. Vom Blickwinkel her, wenn wir hier gewisse Gruppen haben, wenn wir hier gewisse Religionsgruppen haben, Organisationen aus dem Ausland haben und die sich in Deutschland, in Frankreich oder in Schweden nicht an demokratische Werte halten, an das was das Land hergibt, was die Grundgesetze und die Haltung einfach hergeben, dann haben wir ein Problem. Dann hat es auch nichts mit Rassismus zu tun, dann hat es auch nichts mit irgendwas zu tun, sondern es geht darum, dass man unsere eigene Demokratie schützen will. Weil es kann nicht sein, dass wir uns an demokratischen Werte halten, aber Menschen, die hier ihre Organisation gründen, aus demAusland finanziert werden und dann hier Parallelgesellschaften gründen und sogar aufheizen und hetzen. Und da geht es dann nicht darum, dass wir Rassisten sind oder irgendwas, sondern hier geht es um ein Problem, das existiert und das angegangen werden muss und das auch laut ausgesprochen werden muss. Weil wie gesagt, es ist auch der Schutz unserer eigenen Demokratie.
Also wenn man glaubt, dass das nur die Minderheiten betrifft, dann hat man sowieso einen kompletten falschen Blick darauf. Es betrifft nicht nur die Kurden, nicht nur die Juden, nicht nur die Armenier, es betrifft genauso die christliche Welt oder die Christen hier, genauso. Und alle anderen Gruppen. Es geht ja auch darum, dass man Menschen, die vor Krieg, vor Verfolgung geflohen sind, hier Platz geboten hat und jetzt eine Tätergruppe hier immer größer wird, vor der sie geflohen sind. Und jetzt ist man hier im Ausland genauso bedroht und muss sich verstecken und muss aufpassen, wo man seine Meinung sagt oder wo man was ausspricht. Und das kann ja nicht sein, also dann hätten wir gar nicht fliehen müssen. Also denken wir, auch die Minderheiten müssen geschützt werden, die Demokratie muss geschützt werden, unser gemeinsames Leben miteinander im Bund muss geschützt werden.
Jetzt denkt unsere Regierung und viele andere Politiker und Menschen aus der Bevölkerung ja, dass Abschiebungen, geschlossene Grenzen, eine Festung Europa, eine Festung Deutschland uns irgendwie genau diesen Schutz bieten. Wie stehst du zu solchen pauschalen Aussagen, wie zum Beispiel jetzt keine Syrer mehr reinzulassen, weil ein Täter, der Täter in Solingen, ein Syrer war. Oder Afghanen nicht mehr einreisen zu lassen? Oder generell Migration einfach stoppen zu wollen?
Das ist so dieses typische Vorgehen, vom eigentlichen Problem ablenken. Das löst doch unsere aktuellen Probleme im Inland nicht, die wir mit Islamismus haben und mit den ganzen Gruppen wie die DITIB Moscheen oder den Grauen Wölfen. Wir haben ein Problem hier, das zu lösen ist und da bringt es auch nichts, wenn wir das einfach lassen, die Augen schließen und unsere Grenzen zumachen. Im Gegenteil, im Endeffekt müssen wir Menschen trotzdem einen Schutz bieten, die vor solchen Regimen abhauen, und gleichzeitig müssen wir den Menschen die hier sind und die glauben hier das, was sie in der Heimat durchziehen genauso weitermachen zu können, klar machen, dass das halt nicht funktioniert. Und diese Menschen kann man abschieben.
Weil sie sind antidemokratisch und sind gefährlich. Und dann müssen wir sie abschieben, um die anderen zu schützen, um die Minderheiten zu schützen, die bedroht werden von diesen Gruppen. Das kann doch nicht sein.
Ein bisschen hast du es schon angeschnitten. Was würde uns stattdessen hier im Land wirklich konkret helfen, den Islamismus, der sich ja schon in unserem Land befindet, tatsächlich zu bekämpfen?
Man muss da auf jeden Fall klarer reden. Auch mit diesen Gruppierungen und den Vereinen. Es kann nicht sein, dass vor sieben Jahren Skandale von DITIB auftauchen, unzählige, und trotzdem nichts passiert ist nach sieben Jahren. Und nach sieben Jahren diese Gruppe einfach noch wachsen konnte, staatlich von der Türkei finanziert wird und hier ein Riesenproblem ist. Und wir lassen diese Gruppen einfach weitergewehren und lassen sie wachsen. Dass das gegen die Wand fährt, ist doch klar. Wir müssen genau solche Sachen stoppen und sagen, nein, bis hier und stopp. Weil es kann nicht sein, dass man eben gegen Juden, gegen Kurden hetzt und hier Kriegstheater macht und dann behauptet, nee, das hat damit nichts zu tun. Und das Schlimme ist, es gibt keine Konsequenzen. Konsequenzen ist DAS Wort eigentlich. Es muss was passieren. Also wenn man sowas macht, muss man auch spüren, dass es falsch war und dass es nicht mehr weitergeht.
Ich weiß auch, dass es gewisse politische Druck vom Ausland dann gibt, aber das muss man dann abwägen. Will man die Bevölkerung hier schützen oder will man den Nachbarstaat oder den Staat, mit dem man so eng verbunden ist, nicht unangenehm werden? Als erstes ist die eigene Bevölkerung hier zu schützen und die Menschen, die hier leben. Dass Geheimdienste hier agieren, dass eine iranische Hisbollah hier agieren kann, ihre Konsulate hat - wie geht denn das? Ich frag mich heute noch, nach den ganzen Skandalen, es ist nichts passiert und was bringt dir das dann alles, wenn du deine Grenzen zu machst, wenn du DAS nicht mal angehst?
Tatsächlich gibt es ja inzwischen viele, die sich als Ex-Moslems bezeichnen, viele Aussteiger, die auch in sehr radikalen und extremen Kreisen aktiv waren. Was hältst du davon, dass gerade diese Aussteiger immer von rechten Parteien und von rechten Bewegungen in Anspruch genommen werden, mitgenommen werden auf Demos, auf Parteitage, sie dort ihre eigentlich so wertvolle Expertise preisgeben können und dann aber von den Rechten vor den Karren gespannt werden? Wäre es nicht eine bessere Option, genau diese Leute auf unsere Seite zu holen, um wirklich für echte Aufklärung zu sorgen?
Das hätte man von Anfang an tun müssen. Das hat man sowieso verpasst und da voll geschlafen. Also wirklich, komplett geschlafen. Und man hat sogar eine komische Haltung dazu noch gezeigt. In dem man, was den Israel-Palestinakonflikt angeht, was ein sehr, sehr heikles Thema ist, muss ich kurz sagen, wo man auch beide Seiten kritisieren kann und auf keiner Seite stehen muss wie eine Fußballmannschaft.
Ein Krieg ist nicht ein Verein, wo man auf die eine Seite geht und sagt, ich bin für den. Man kann beide Seiten kritisieren. Und das, was für mich unfassbar war, war, dass Teile der Gruppen der Linken mit Palästinensern auf Demos gegangen sind, wo eindeutig Hamas-Propaganda auch mitgemacht wurde. Aber 2014, 2015 mit den Kurden auf die Straße gehen und gegen IS und Islamisten demonstrieren. Aber nach ein paar Jahren das einfach ausblenden und dann sagen, okay, ja, das geht schon. Das geht nicht! Da muss man schon eine klare Haltung haben!
Und das war überhaupt der Fehler. Man hätte genauso die Palästinensische Seite mit ihrer Hamas kritisieren müssen. Man kann aber auch Israel mit seiner Siedlungspolitik kritisieren und mit seiner rechten Regierung. Das fehlt mir halt. Und das hat die Linke komplett gegen die Wand gefahren, indem sie sich einfach blind gestellt hat, sich für eine Seite entschieden hat und da mitgespielt hat. Und mit gewissen Leuten auf die Straße gegangen ist, mit denen überhaupt nicht zu spaßen ist. Ich frag mich das auch wegen den queeren Leuten, die da mitgelaufen sind - klar, alles schön, gut, gegen Krieg zu sein, aber mit wem lauft ihr da? Es sind Menschen, die Homosexuelle überhaupt nicht akzeptieren, wie die Hamas. Sie würden als erstes diese Gruppierung von Hochhäusern runterwerfen. Man kann die Palästinenser unterstützen, genau wie die Israelis, die Opfer dieses Krieges sind. Aber man braucht sich nicht auf eine Seite hinzustellen und zu sagen, das sind die Täter und das sind die Opfer. Dann sollte man vielleicht ein bisschen detaillierter in den Konflikt schauen oder sich mal ein bisschen reinlesen. Also das ist sehr schwierig.
Vielleicht kann man abschließend sagen, dass offene Kommunikation über all diese Dinge der Schlüssel ist und dass wir vorbehaltlos über diese Dinge reden müssen und dass man vielleicht an dieser Stelle tatsächlich mal die von Konservativen oft so viel beschworene „Härte des Rechtsstaates“ tatsächlich mal gebrauchen könnte?
Genau und was dann Deutschland betrifft, was diese Politik angeht, haben die Rechten das einfach sehr klug benutzt, vor allem die AfD. Sie haben genau diese Leute, die Aussteiger, genommen und haben sie für sich sprechen lassen. Und damit fängt man auch wiederum sehr viele Gruppen ab, die eben in Deutschland von diesen Gruppen bedroht werden. Und das ist halt Stimmenfang. Wie gesagt, die linke Seite hat da komplett verpennt, hat sich da in etwas rein verrannt, wo sie sich teilweise selbst gespalten hat, in zwei Gruppen. Und geschichtlich passiert immer wieder das Gleiche. Immer wenn die Rechten stark werden, splitten sich Linke in tausende Gruppen.
Ich finde, was die Aussteiger betrifft, oder überhaupt die Kritik am Islam, dass man alles kritisieren kann. Das hat nichts mit Rassismus zu tun. Wenn es ein Problem gibt, dann gibt es etwas zu kritisieren. Und da muss man auch darüber reden und das auch beiseite schaffen. Und wenn das heißt, dass wir unsere Gesetze dafür anwenden, denn mehr wollen wir ja nicht. Jeder soll sich an das halten und niemanden bedrohen. Jeder friedlich miteinander leben. Und jeder kann leben und glauben, was er will, das ist eine persönliche Sache.Bitte lasst das Scheiß Missionieren. Das ist ein absolut respektloser Akt, den man einfach nicht machen darf, weil sobald du jemanden missionieren willst, hast du keinen Respekt vor dessen Religion.
Das war der kurdische Künstler und Aktivist Inan Ercik im Gespräch mit Sabrina. Ihr könnt das ganze Gespräch auch als Podcast z. B. auf Spotify oder Apple Podcast hören!
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