Zwei Journalistinnen undercover in der Identitären Bewegung: Die schockierenden Ergebnisse und was diese für uns alle bedeuten
Lisa Plank und Angelique Geray wagten sich für RTL mehrere Monate undercover in die Identitäre Bewegung und fanden dabei neben einem rechtsradikalen Weltbild auch neue Beweise für deren Nähe zur AfD.
Als „Identitäre Bewegung“ bezeichnet sich eine Ende 2012 auch in Deutschland entstandene Gruppierung neurechter und rechtsextremer Aktivist·innen, die die Theorie des „Ethnopluralismus“ vertreten. Das bekannteste Gesicht der IB ist wohl Martin Sellner, der bis 2023 der Sprecher der Identitären Bewegung Österreich war und gegen den mehrere Länder ein Einreiseverbot verhängten. Das Einreiseverbot nach Deutschland kann allerdings bislang nicht umgesetzt werden und so nutzt Sellner seine Reichweite und Bekanntheit auch hier weiterhin für die Verbreitung seiner rechtsextremen Thesen und gilt als der Vordenker der Identitären Bewegung. Obwohl die AfD eine Verbindung zur IB stets konsequent abstreitet und eine gleichzeitige Mitgliedschaft in beiden Organisationen für sie laut eigenen Angaben als unvereinbar gilt, finden sich immer wieder Akteur·innen, die sowohl in der Partei als auch als Aktivist·innen der IB aktiv sind. Gerade weil die Identitäre Bewegung als Bindeglied zwischen der AfD und potenziellen Mitgliedern und Wähler·innen, quasi als ihr „Vorfeld“ gilt, war ein genauer Blick auf diese Vereinigung und deren Machenschaften vor der Bundestagswahl umso wichtiger. Das dürfte auch der Grund sein, weshalb der Sender RTL die Rechercheergebnisse von Lisa Plank und Angelique Geray bereits vor ein paar Wochen veröffentlichte und diese nicht erst, wie ursprünglich geplant, Ende des Jahres sendet.
Einblicke in ein weithin verwobenes Netzwerk
Der Nebenraum des Hofbräu Hauses in Traunstein war bis auf den letzten Platz gefüllt mit einem bunten Publikum, als die „Henastoibande“, ein zivilgesellschaftlicher Verein, der sich die Weltverbesserung zur Aufgabe gemacht hat, zum Filmvortrag von Lisa Plank mit anschließender Diskussion einlud. Zuerst wurde der Film gezeigt, der die mutige Recherche der beiden Journalistinnen L. Plank und A. Geray zeigt. Im Grunde weiß man als informierte·r Zuschauer·in zwar, was einen erwartet, wenn es um das rechtsextreme Milieu geht, und dennoch waren die meisten schockiert über die ein oder andere Szene, die wir hier zu sehen bekamen.
Die beiden jungen Frauen wurden rasch in den engsten Kreis der Bewegung aufgenommen, was, wie Lisa Plank später erklärte, vor allem daran lag, dass in der Bewegung zum einen ein großer Mangel an Frauen herrscht und zum anderen die Ortsgruppe in Berlin generell noch wenige Mitglieder hat. Normalerweise dauert eine Aufnahme in die Bewegung deutlich länger, Interessierten wird zunächst das „Aktivisten Handbuch“ ausgehändigt, das die Bewerber·innen quasi auswendig lernen müssen, was dann auch in regelmäßigen Prüfungen abgefragt wird. Plank und Geray jedoch bekommen rasch die Möglichkeit, an internen Treffen, wie zum Beispiel an einem freien Boxtraining in einem Park teilzunehmen und erhalten schließlich sogar eine Einladung nach Wien, zu einem geheimen Boxkampf, der in Kellerräumen stattfinden soll. In Wien treffen sie auch auf Martin Sellner, der die Gelegenheit nutzt, sie auf bevorstehende Kämpfe mit „der Antifa“ beispielsweise auf Demonstrationen einzuschwören. Auch die Kämpfer rufen zur Gewalt gegen „die Antifa“ auf. Immer wieder kommen Afd Mitglieder oder ehemalig Mitglieder zu Wort und sagen Dinge wie: “Deutschland braucht ein Srebrenica 2.0!“, oder leugnen den Holocaust in seinem Umfang und betonen, dass sie es aber auch „geil“ fänden, dass zumindest diese abgeschwächte Version stattgefunden hätte. Sogar ein Vorsitzender der Jungen Alternative ist in Wien mit dabei und wirbt um neue Mitglieder für die AfD.
Am Ende reichen die Verstrickungen der IB bis in den Bundestag, wo die rechte Influencerin Marie-Thérèse Kaiser, die nicht nur der Identitären Bewegung nahe, sondern auch für andere rechtsextreme Organisationen, wie EinProzent.de engagiert ist, im Büro einer hochrangigen AfD-Politikerin arbeitet – nämlich für niemand geringeren als für Alice Weidel. Doch nicht nur im Hintergrund kreuzen sich die Wege der AfD und der IB – auch bekannte Parteimitglieder machen keinen Hehl aus ihrer Nähe zu der rechtsextremen Organisation, wie zum Beispiel Daniel Halemba oder Richard Graupner, die beide im bayerischen Landtag sitzen (Anmerkung: die bayerische AfD wird als rechtsextremistischer Verdachtsfall seit 2022 vom bayerischen Verfassungsschutz beobachtet). Der Kopf der IB, Martin Sellner, sagte selbst vor laufenden Kameras, dass er, wenn er in Deutschland wählen dürfte, natürlich die AfD wählen würde.
Wie konnte es so weit kommen?
Überraschend ist es nicht, dass es trotz dem nach außen stets betonten, gewaltfreien „Traumschwiegersohn“-Image der IB im Inneren ganz anders aussieht. Genau genommen deckt sich das auch mit meinen eigenen Erfahrungen aus dem Jahr 2018, als ein junges, männliches IB-Mitglied mir zunächst bei einem Treffen beweisen wollte, dass er „gar nicht so böse sei“, nur um mir dann nachdem ihm klar geworden war, dass ich von meiner politischen Position nicht abweichen werde, zu unterbreiten, dass ich und Menschen wie ich „weg gehören“. Sein Idol Martin Sellner würde ihm für diese Unbeherrschtheit wohl die Ohren langziehen. Gewalt wird nur gegen die „Unbelehrbaren“ eingesetzt, die Überzeugung der Massen erfolgt deutlich subtiler. Für die Journalistin Lisa Plank ist das auch ein bisschen die Versicherung dafür, dass ihr auch nach Veröffentlichung der Recherchen keine Gefahr droht, denn zu groß wäre wohl der Imageschaden für die Organisation, wenn den beiden Frauen nach der Undercover Recherche etwas zustoßen würde.
Auf die Frage hin, wieso rechtsextreme Organisationen wie die IB so einen großen Zulauf verzeichnen, hat L. Plank eine unbequeme Antwort, jedoch trifft sie mit dieser ins Schwarze: „Die Linken sind vor lauter Sensibilität, mit der sie eigentlich Inklusion fördern wollten, für viele Leute sehr exklusiv geworden. Die Leute fühlen sich belehrt und ausgeschlossen. Die Rechten nutzen das, haben offene Arme und nehmen erstmal jede·n auf, auch wenn man nichts besonders Rechtes sagt. Das kommt dann erst mit der Zeit, weil so eine Sogwirkung entsteht.“ Und in diesem Sog findet natürlich auch eine ganze Menge Desinformation statt. Sellner selbst sagt, sie seien ihrem Ziel so nah, wie nie zuvor, der Informationskrieg laufe sehr gut.
Lisa Plank schätzt die Bedrohung durch die Rechtsextremen für unsere Demokratie als riesengroß ein. Unter anderem auch deshalb, weil sie trotz ihrer nationalistischen Gesinnung großen Wert auf den internationalen Austausch innerhalb Europas legen. So trafen die Journalistinnen beispielsweise auf einen „Austauschaktivisten“ aus Frankreich. „Die Arroganz der Linken, der Demokraten in Europa, sorgt dafür, dass die sich eben nicht so umfangreich Austauschen.“, stellt Plank als weiteres Problem heraus.
Wir brauchen wieder mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt!
Die IB wird bereits seit 2016 vom Verfassungsschutz beobachtet, 2019 wurde sie als gesichert rechtsextrem eingestuft. Die Sachlage ist hier also eindeutig. Viel nebulöser sind da die Verbindungen zu den Parteien wie der FPÖ in Österreich oder der AfD in Deutschland. Vorgestern hat Deutschland gewählt und nicht nur ist die AfD zweitstärkste Kraft geworden, sondern sie hat von insgesamt 3.760.000 Menschen, die sonst nicht zur Wahl gingen, ganze 1.810.000 Wähler·innen von sich überzeugt (Quelle: infratest dismap, Freitag). „Nichtwähler·innen“ bilden damit ihre größte Wähler·innengruppe.
Organisationen wie die IB machen genau so etwas möglich, denn sie sprechen gerade diese Zielgruppe an, die sich bisher nicht für Politik interessiert oder sich in der Parteilandschaft nicht repräsentiert gefühlt hat. Die IB kommt wie die meisten solcher Organisationen nicht parteipolitisch daher, sondern holt die Menschen da ab, wo sie gerade stehen, bietet ihnen einen sozialen Raum, in dem sie sich angenommen fühlen. Die Politisierung kommt erst nachdem die Meinung, die Ideologie, geformt wurde. Die, die politisch „auf der Straße“ unterwegs sind, wissen es schon lange und man darf hoffentlich annehmen, dass es auch für Ermittlungsbehörden keine neuen Erkenntnisse sind, und nun wissen es Dank der mutigen Recherchen auch breite Teile der Gesellschaft – was aber können wir, was kann jede·r einzelne von uns tun?
Diese Frage stellt auch der Moderator des Abends Holger M. an Lisa Plank und das gesamte Publikum. Obwohl aus dem bunt gemischten Publikum viele unterschiedliche Erfahrungen und Eindrücke geschildert werden, sind sich in Punkto Lösung alle einig: Das eine ist die Politik, die unbedingt wieder auf die tatsächlichen Bedürfnisse der Bürger·innen eingehen muss, also kurzgesagt: vernünftige, gerechte Sozial- und Wirtschaftspolitik. Ein anderer, vielleicht noch viel wichtigerer Faktor sind wir, die Zivilgesellschaft.Natürlich gibt es die, die schon sehr weit radikalisiert sind und an die wir nicht mehr so leicht herankommen, aber es gibt vor allem noch immer eine Menge „Mitläufer·innen“, die wirklich glauben, ihre Lage würde sich durch eine AfD-Regierung tatsächlich verbessern. Für diese Menschen werden wir von unserem hohen, linksintellektuellen Ross herabsteigen, um wieder mit ihnen in Kontakt zu kommen. Nicht in den Sozialen Medien, wo es zwar immer etwas einfacher ist, sich zu äußern, weil man abschalten und notfalls blocken kann, man die Leute aber nur schlecht erreicht. Online fehlt die persönliche Beziehung, die es braucht, um Menschen zu überzeugen. Wir müssen uns (zu-)trauen, in unserem sozialen Nahraum genauer hinzuschauen, zu intervenieren, dagegenzureden, aber auch Hände zu reichen, zu erklären und zu vermitteln. Wir müssen diesen Menschen signalisieren, dass sie immer noch zu uns gehören und die Gesellschaft sie offen aufnimmt und sie unterstützt, dass wir auch für sie und ihre Bedürfnisse kämpfen. Menschen, wie zum Beispiel Daniela Mahler, die nach ihrem Ausstieg offen über Vorgänge innerhalb der AfD spricht und sich heute dafür schämt, dort hineingeraten gewesen zu sein. Wir als Gesellschaft müssen die Spaltung beenden, die die Populisten uns aufgezwungen haben. Das ist unsere Aufgabe für die nächsten vier Jahre, wenn wir verhindern wollen, dass das Ergebnis der nächsten Wahl noch desaströser wird.